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Die Einbände der Manuskripte

1590 als Herstellungsjahr der Einbände von Mss. or. fol. 1210, 1211, 1212 und 1213

Für die zwei großen Bände der Bibelhandschrift „Erfurt 1“ sind bereits im 14. Jahrhundert Kasteneinbände hergestellt worden. Die Orientabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz bewahrt einen der großen kofferförmigen Einbände – 66x53x26 cm – mit dem stark beschädigten Manuskript or. fol. 1210 im klimatisierten Handschriftenmagazin auf, während der Einband der Ms. or. fol. 1211 noch bis 2021 im Museum der Alten Synagoge Erfurts für die interessierte Öffentlichkeit ausgestellt sein wird. Die Einbände bestehen aus Holzdeckel, wobei der Vorderdeckel mit einem dunklen Leder mit floraler Blindprägung bezogen ist. Der Rücken und ein Teil des Vorderdeckels sind mit einem hellen Leder bezogen, das ebenfalls eine florale Prägung aufweist. In das helle Leder beider Einbände ist mit dunkler Farbe die Zahl 1590 eingeprägt. Hierbei handelt es sich sehr wahrscheinlich um das Jahr der Restauration der alten Kasteneinbände, deren Bestandteile zum Teil noch den originalen mittelalterlichen Einbänden angehören. Die Seiten bestehen aus dickem Leder, das wie die dazu gehörenden Nähte stark beschädigt ist. Auf dem Vorderdeckel gibt es an allen vier Ecken und in der Mitte Metallbeschläge mit Buckel sowie zwei Metallösen für die Riemenschließen. Eine Metallleiste umschließt die Kanten der Deckel. 

Die Bibelhandschrift Ms. or. fol. 1212 weist ebenfalls einen Einband aus dem 16. Jahrhundert auf. Es ist gut möglich, dass dieser Einband im Zuge der Restauration der beiden großen Kasteneinbände der „Erfurt 1“ auch im Jahre 1590 hergestellt wurde. Er besteht aus einem Holzdeckel, der mit einem hellen Schweinsleder bezogen ist, dessen florale Elemente denen der Kasteneinbände gleichen. An den Ecken und in der Mitte des Vorderdeckels befinden sich ornamentale Metallbeschläge mit Buckel sowie zwei Metallschließen mit Lederscharnieren. Die figürlichen Prägungen in dem hellen Leder sind stark abgerieben und nur noch schwer zu erkennen. Es finden sich Köpfe, Blattwerk und Engelsfiguren ebenso wie verschiedene leistenförmig untereinander angeordnete Miniaturprägungen mit Bildunterschrift. Bei einer dieser figürlichen Prägungen handelt es sich zweifelsohne um ein Kreuzigungsmotiv mit der Bildunterschrift „Ecce Agnus Dei Qui Tol[lit Pecca Mundi]“ – „Dies ist das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt“.

Die dritte Bibelhandschrift Ms or. fol. 1213 ist in einfache Holzdeckel gebunden, die nur zum Teil mit einem hellen Schweinsleder mit Blinddruck bezogen sind. Die floralen Motive der Prägung gleichen denen auf dem Einband der Bibelhandschrift Ms. or. fol. 1212, so dass es wahrscheinlich erscheint, dass auch diese Handschrift 1590 mit den drei Bänden Ms. or. fol. 1210, 1211 und 1212 eine neue Bindung erhalten hat.  

Aus dem Jahr 1590 sind in Erfurt verschiedene Buchbinder bezeugt (vgl. Adolf Rhein, Erfurter Buchbinder seit 500 Jahren (= Festschrift zum 3. Reichsinnungstag des Buchbinder-Handwerks 23. Bis 27. Juli 1937 in Erfurt), Erfurt 1937, S. 30–36), von denen insbesondere Georg Kirsten (nicht zu verwechseln mit Gregor Kersten aus Wittenberg) als Hersteller der vier Einbände in Frage kommt. Der Buchbinder Kirsten war 1596 ein Gründungsmitglied der Erfurter Buchbinderinnung, doch band schon seit 1564 (vgl. Hellmuth Helwig, Handbuch der Einbandkunde, Hamburg 1953-54, Bd. II, S. 35) für die Stadt Erfurt. Unter seinen Arbeiten befindet sich auch das im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bildprogramm so beliebte Motiv der Kreuzigung Christi. Haebler (Rollen- und Plattenstempel, Leipzig 1928-29, Bd. I, S. 226f) berichtet u.a. von einem mit G[eorg] K[irsten]  gekennzeichneten Plattenstempel mit Kruzifixus und der Unterschrift „Ecce Agnus Dei Qui Tol // Lit Peccata Munti: G.K.“ sowie einem Rollenstempel, der Köpfe, Blattwerk und einen Engelskopf abbildet – d.h. Motive, die auch auf dem Einband der Ms. 1212 zu sehen sind. In Adolf Rheins Abhandlung zur Erfurter Buchbinderei befindet sich auf Seite 32 die Abbildung eines Einbandes von Kirsten aus dem Jahre 1580, der exakt die gleichen floralen Stempelmuster und figürlichen Miniaturen – u.a. die Kreuzigungsszene mit Unterschrift – aufweist.  Georg Kirsten kann demensprechend sehr wahrscheinlich als Restaurator und Binder der 1590 hergestellten Einbände betrachtet werden.  Es käme theoretisch auch Lukas Weischner (gest. 1607) für die Bindung in Frage, der 1550 in Erfurt geboren ab 1572 als Hofbuchbinder und Bibliothekar des Herzogs Julius von Braunschweig in Wolfenbüttel wirkte und nach einer Zwischenstation in Helmstedt ab 1588 als Bibliothekar und Buchbinder der Universitätsbibliothek in Jena, d.h. in der Region, wirkte. Auch unter seinen Arbeiten befindet sich das in jener Zeit beliebte Christusmotiv mit „Ecce Agnus“ Unterschrift. (Vgl. Helwig, Handbuch der Einbandkunde, Hamburg 1953-54, Bd. II, S. 51) Doch das von Rhein abgedruckte Bild des Blinddruckeinbandes und die Tatsache, dass Kirsten in Erfurt „für die halbe Stadt“ (Rhein, S. 34) arbeitete, spricht für den Buchbinder Georg Kirsten als Hersteller der Einbände.

 

1871 in Erfurt hergestellte Einbände der Mss. 1214, 1219, 1221, 1222 und 1224

Die Handschriften Mss. or. fol. 1214, 1219, 1221, 1222 und 1224 weisen die gleichen Einbände auf. Die Buchdeckel sind mit braunem Leinenstoff bezogen. Auf dem Vorder- und Hinterdeckel sind je vier Messingbuckel befestigt. Der vordere und hintere Spiegel sowie die Rückseite des ersten und letzten fliegenden Blattes sind mit einem Buntpapier – Kamm-Marmorpapier, sehr feiner Kamm – beklebt. 

Johann Bellermann (De bibliothecis et museis Erfordensibus, Pars 1-7, Erfurt 1800–1803, Teil 7, S. 2–6) bezeugt zu Beginn des 19. Jahrhunderts hinsichtlich der Bibelhandschrift Ms. or. fol. 1214 noch einen älteren Einband, auf dem er verschiedene Eintragungen der früheren Besitzer lesen konnte. Als Paul de Lagarde 1877 die Bände einsah, konnte er nur noch feststellen, dass eine Lage dieser Handschrift mit den Blättern 41–48 von einem Erfurter Buchbinder verkehrt herum auf dem Kopf stehend eingebunden war und er dafür sorgen wolle, dass dieses Missgeschick rückgängig gemacht wird. Er bemerkt in seiner Beschreibung dieser Handschrift dazu:

„die Lage 41–48 war durch den neuen Erfurter buchbinder auf den Kopf gestellt: mit genehmigung des herrn bibliothekars ist der fehler hier in Göttingen unter meiner aufsicht, so gut es gieng ohne den ganzen codex auseinanderzunehmen, beseitigt worden.“ (Lagarde, „Hebräische Handschriften in Erfurt“, S. 138)

Von dem ursprünglich ersten Schutzblatt der Handschrift und den darauf befindlichen Namen ist bei Lagarde keine Rede mehr, d.h. es muss zwischen etwa 1800 und 1870 die Neubindung dieser und der anderen vier Handschriften bei einem Erfurter Buchbinder erfolgt und das fliegende Blatt mitsamt Notizen verloren gegangen sein. Da Lagarde von einem „neuen Erfurter buchbinder“ spricht, darf die Bindung der fünf Manuskripte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermutet werden. Diese These wird durch weitere Bemerkungen des Orientalisten bestätigt und weiter präzisiert – etwa bezüglich der Handschrift Ms. or. fol. 1219, der Masora, die Lagarde in ihrem alten Einband noch vor ihrer neuen Bindung vorliegen hatte. So berichtet er in seiner ausführlichen Handschriftenbeschreibung aus dem Jahre 1877 ohne die Gelegenheit zu versäumen, einen seiner zahllosen Seitenhiebe auf Johann Bellermann auszuteilen, Folgendes:

„Als ich diese handschrift zum ersten male sah, steckte sie in einem unscheinbaren pappbande, der ursprünglich gewesen sein muß. denn Bellermann berichtet IX 7 daß bis in ligatura anteriori קלונימוס נקדן בר אליעזר שיח genannt werde, der auch in primae paginae summitate semel erscheine. […] jetzt ist die alte schale weggeworfen: schade um sie: sie hätte in ein museum gehört, denn gewiß war ein pappband aus der zeit „Gereschom (sic.) des älteren“ einzig in seiner art: Heinrich II hätte für Bamberg nur auch in pappe binden lassen sollen: die gründung wäre ihm billiger gekommen. der buchbinder, welcher den neuen deckel geliefert, hat beim beschlagen seines werkes die spitzen seiner nägel bis auf blatt 17 durchgetrieben.“ (Lagarde, „Hebräische Handschriften in Erfurt“, S. 143)

 Lagarde hat die Handschriften 1871 erstmals in der evangelischen Ministerialbibliothek Erfurts eingesehen und „auf wunsch des hochwürdigen ministeriums“ (Lagarde, „Hebräische Handschriften in Erfurt“, S. 130) am 11. Oktober 1872 ein erstes Gutachten zu den Manuskripten vorgelegt. Dementsprechend kann das Jahr 1871 als Bindungszeitpunkt nicht nur für die Masora, sondern auch für die Bibelhandschrift „Erfurt 4“, die beiden Raschi-Kommentare und den Machzor gelten.

Mit der neuen Bindung durch den „unaufmerksame[n] Erfurter künstler“ des Kodex Ms. or. fol. 1222 war Lagarde dermaßen unzufrieden, dass er eine Ausbesserung in Betracht zog. Der Buchbinder hatte die Blätter 91–94 auf dem Kopf stehend verkehrt herum eingebunden, doch Lagardes „sehr geschickter buchbinder [in Göttingen] widerrät den codex noch einmal auseinanderzureißen, da der rand knapp und das pergament sehr morsch ist.“ Der Antisemit Lagarde fährt fort: „man muß sich jetzt ja so vieles zurechtlegen, und gerade theologen und Juden, die doch allein ein interesse an Raši haben, sind in dem geschäfte des zurechtlegens solche meister, daß es nicht so sehr gefährliche mühe ist, das buch etliche male beim lesen umzudrehen“. (Lagarde, „Hebräische Handschriften in Erfurt“, S. 153)

 

Von Paul de Lagarde 1871 in Göttingen veranlasste Bindungen der Handschriften Ms. or. fol. 1220 und Ms. or. Quart. 685

Die Bindung der zwei Handschriften Ms. or. fol. 1220 und Ms. or. Quart. 685 wurde von Lagarde 1871 bei einem Buchbinder in Göttingen in Auftrag gegeben. Es handelt sich dabei um einen Pappdeckeleinband mit grün-gelben Ringadermarmorpapier, der mit Schutzecken und einem Rücken aus braunem Leder versehen ist.

Lagarde notiert diesbezüglich auf dem ersten fliegenden Blatt der Tosefta (Ms. or. fol. 1220), die ursprünglich in Eichenholzdeckel gebunden war:

„Der Ministerialbibliothek zu Erfurt gehörig.

Auf meine Kosten neu gebunden, die hinten angefügten blätter steckten als bezug in dem einen der alten eichenholzdeckel. Vierhundertfunfzig Seiten.

Goettingen December 1871.

Paul de Lagarde“

 Die Sammelhandschrift Ms. or. Quart. 685 muss ursprünglich noch Responsen Raschis an R. Menachem in Mainz, Responsen des R. Isaak ha-Levis und R. Isaak ben Jehudas an Raschi sowie Erklärungen zum Traktat Avodah Zarah enthalten haben, die sehr wahrscheinlich die ersten beiden Lagen, d.h. ca. 34 Seiten, ausmachten. (Vgl. Epstein, Die Rechtsgutachten der Geonim, S. 217ff) Für die Editionen von David Cassel (Die Rechtsgutachten der Geonim, Berlin 1848) oder von Baer Goldberg (Chofes matmonim, Berlin 1845) der meisten halachischen Abhandlungen der Handschrift lag die vollständige Fassung noch vor. Auch Jaraczewsky erwähnt – vielleicht auf Grundlage früherer Beschreibungen – im Jahre 1868 noch „eine Sammlung von Gutachten von Raschi und Rabbenu Tam“ (Jaraczewsky, Die Geschichte der Juden,S. 117). Da sich Lagarde über diese Angabe von Jaraczewsky bereits mokiert, ist davon auszugehen, dass diese ersten Lagen zwischen frühestens 1845 und 1872 verloren gegangen sind.

Lagarde berichtet, dass ihm die Handschrift 1872 zugesandt wurde. Die Blätter hingen „lose in den alten eichendeckeln, aus denen ich sie, mit genehmigung des besitzers, nachdem ich selbst die blätter beziffert, auf meine kosten in ein neues gewand habe stecken lassen. sie ist vorne und hinten unvollständig.“ (Lagarde, „Hebräische Handschriften in Erfurt“, S. 155)

Auf das erste fliegende Blatt der Sammelhandschrift Ms. or. Quart. 685 notierte Lagarde:

„Bibliothek des evangelischen Ministeriums

in Erfurt. zweihunderteinundneunzig blatt.

mir überführt und auf meine Kosten

mit Erlaubnis des Besitzers neu

gebunden.

Paul de Lagarde

Goettingen 21. September 1871“


Empfohlene Zitierweise: Annett Martini, "Die Einbände der Manuskripte", in: Die hebräischen Handschriften der Erfurter Sammlung (2018), URL: https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/erfurter_sammlung/dokumentation/einbaende/index.html