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Ästhetiken der Liminalität. Die transformative Kraft von Werken der bildenden Kunst in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

28.10.2016 | 09:30 - 19:00

Ein Workshop der DFG-Forschergruppe 1703 “Transkulturelle Verhandlungsräume von Kunst. Komparatistische Perspektiven auf historische Kontexte und aktuelle Konstellationen”,Teilprojekt A1 “Charisma des Fremden. Ästhetiken religiöser Transferprozesse in Mittelalter und Früher Neuzeit”

Liminalität bezeichnet eine Schwellen- und Transformationsphase, die die alltägliche Ordnung, ihre Werte und Symbole temporär destabilisiert, außer Kraft setzt oder in ihr Gegenteil verkehrt. In gesellschaftlichen Übergangsriten, wie Hochzeiten, Beisetzungen, Investituren, etc., geht die Phase der Liminalität mit einer kurzzeitigen Aussetzung sozialer Hierarchien und Vorschriften einher, die einen Moment spontaner Vergemeinschaftung (communitas) hervorrufen kann und es Individuen oder Gruppen ermöglicht, nach der Wiedereinsetzung der Ordnung, d.h. in der post-liminalen Phase, einen anderen sozialen Status einzunehmen. Das Arbeitstreffen fragt nach der Funktion von Werken der bildenden Kunst in derartigen sozialen Schwellenzuständen. Zwei Aspekte stehen dabei besonders zur Diskussion: Einerseits möchten wir den konkreten Einsatz von Kunst- und Bildwerken in liminalen Räumen bzw. bei der Erzeugung und Abwicklung von Schwellensituationen untersuchen, andererseits danach fragen, inwieweit die Werke selbst als Medien der Liminalität bzw. als Objekte liminaler Erfahrung beschrieben werden können.

Ein zentrales Untersuchungsfeld bietet die Inszenierung multisensueller Erfahrungen während ritueller oder liturgischer Handlungen, die in architektonischen, die sinnliche Wahrnehmung strukturierenden Rahmen stattfinden. Das sind beispielsweise Orte wie Grabkapellen, Kreuzgänge oder Vorhallen, die Bestattung und Totenkult dienen. Inwiefern sind die für diese Räume bestimmten Kunstwerke – Grabmäler, Wandbilder oder Mobiliar – auf die dort verhandelten ‚Ausnahmezustände‘ und das rituelle Zusammenspiel von Sprache, Musik, Geräuschen, rhythmischer Bewegung, Lichteffekten und Gerüchen hin konzipiert? Welche Bedeutung erhalten die Werke (mit ihren immanenten ästhetisch-semantischen Strukturen) im Kontext der jeweiligen rituellen Handlungen und der durch sie gestifteten bzw. affirmierten gesellschaftlichen Ordnungen?

Seitens der Kunstwissenschaften ist das von der Ritualforschung entwickelte Konzept der Liminalität auf die Analyse künstlerischer Objekte übertragen und ästhetische Erfahrung selbst als Schwellenerfahrung beschrieben worden. Ist den Kunstwerken mithin ein liminales Potential inhärent, das im Vorgang ihrer rituellen Einbindung und Wahrnehmung freigelegt und akzentuiert wird? Spricht nicht gerade die Dauerhaftigkeit künstlerisch fixierter Zeichen vielmehr dafür, dass Kunstwerke primär einer Stabilisierung der herrschenden gesellschaftlichen Ordnung dienen? In einem zweiten Schritt möchten wir daher diskutieren, unter welchen Voraus- und Zielsetzungen Objekte der bildenden Kunst gesellschaftliche Kräfte entfalten und ob es Formen und Ausdrucksmodi gibt, die darauf angelegt sind, liminale Erfahrungen hervorzurufen oder zu befördern.

Programm

09:30

Eröffnung des Arbeitstreffens und offizielle Begrüßung
Prof. Dr. Klaus Krüger (Berlin, Freie Universität)

09:40

Einführung in die Thematik
Dr. Alberto Saviello (Berlin, Freie Universität)

10:00

Ästhetische Erfahrung als Schwellenerfahrung – Kunstprozesse als Transformationsprozesse
Prof. Dr. Dr. h. c. Erika Fischer-Lichte (Berlin, Freie Universität)

10:50

Kaffeepause

11:10

Der Besessene und der Bootsmann. Schwellen in Vittore Carpaccios Historie für die
Scuola Grande di San Giovanni Evangelista

Dr. Stefan Neuner (Basel, eikones NFS Bildkritik)

12:00

Investituren der Transfiguration. Das Retabel von San Salvador in Venedig
Prof. Dr. David Ganz (Zürich, Universität Zürich)

12:50

Mittagspause

13:45

Einführung in den Nachmittag
Dr. Christine Ungruh (Berlin, Freie Universität)

14:00

Sight, Sound and the Spaces of the Tomb in Late-Medieval England
Dr. Jessica Barker (Norwich, University of East Anglia)

14:50

De profundis: How the Early Christian Desert Fathers Affect the Olivetans
and their Funerary Rites at Monte Oliveto Maggiore in the 14
th and 15th Centuries
Dr. Christine Ungruh (Berlin, Freie Universität)

15:40

Kaffeepause

16:00

Spätmittelalterliche Prozessionen als anamnetische Figuren: Liturgiewissenschaftliche Beobachtungen zur Lichterprozession am Fest Purificatio Mariae (2. Februar)
Prof. Dr. Jürgen Bärsch (Eichstätt, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt)

16:50

Begnadete Kunst? Der Einsatz von Gnadenbildern in der katholischen Mission
in Indien im 17. Jahrhundert

Dr. Alberto Saviello (Berlin, Freie Universität)

17:40

Abschlussdiskussion

19:00

Gemeinsames Abendessen im Restaurant „Alter Krug“, Dahlem-Dorf

Zeit & Ort

28.10.2016 | 09:30 - 19:00

Freie Universität Berlin
Kunsthistorisches Institut
Raum A 163
Koserstraße 20
14195 Berlin

Zur Website des Kunsthistorischen Instituts
Deutsche Forschungsgemeinschaft