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Band 43: Völkerrechtliche Regelungen zur deutschen Frage - 1945 bis 1990 (2015)

Prof. Dr. Eun-Jeung Lee

Titel
Band 43: Völkerrechtliche Regelungen zur deutschen Frage - 1945 bis 1990
Verfasser
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee
Mitwirkende
Alexander Pfennig / Arne Bartzsch, Jean Yhee, Daniel Schumacher, Dung Vu Tien, Hanan El-Asmer, Katharina Müller, Hoon Jung
Art
Text

Völkerrechtliche Regelungen zur deutschen Frage

– 1945 bis 1990

 

 

Alexander Pfennig

in Zusammenarbeit mit Arne Bartzsch, Jean Yhee, Daniel Schumacher,

Dung Vu Tien, Hanan El-Asmer und Katharina Müller

 

 

 

Das Entstehen der „deutschen Frage“

 

Dieser Band umfasst Dokumente zur deutschen Frage aus den Jahren 1945 bis 1990, also fast ein halbes Jahrhundert. Knapp die Hälfte der Dokumente entstammt den Jahren 1945 bis 1989. Die andere Hälfte der Dokumente wurde im Jahr 1990 erstellt.

 

Die deutsche Frage ist eine alte Frage. Der immer wieder auftretende Problemkomplex der deutschen Einheit, der die äußeren Grenzen und territoriale Ordnung Deutschlands umfasste, entstand im Jahr 1806 mit der Auflösung des Heiligen Römischen Reichs (Deutscher Nation),[1] das mit dem deutschen Sprachraum nicht übereinstimmte. Mit der Wieder-vereinigung im Jahr 1990, fast 200 Jahre später, gilt die deutsche Frage als abschließend beantwortet,[2] zumal Deutschland inzwischen in Organisationen wie der Europäischen Union und den Vereinten Nationen[3] gleichberechtigt mit anderen Staaten vertreten ist.

 

Von den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts, der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871, bis nach dem Zweiten Weltkrieg galt Deutschland für viele ausländische Politiker und Beobachter als die eigentliche Bedrohung für Europa und die Welt. Das vorherrschende Bild von den Deutschen war geprägt von Militarismus, zeitweiser politischer Zügellosigkeit und dem Mangel an Gespür für die Ängste und Bedürfnisse anderer.

 

Diese Sichtweise wurde maßgeblich bestimmt durch den Verlauf der Geschichte zwischen 1871 und 1945, als Deutschland zunächst unter Führung Bismarcks zu einem einheitlichen Reich heranwuchs und schließlich unter Hitler nahezu ganz Europa in die Katastrophe stürzte. Die Geschichte des Deutschen Reiches schien zu beweisen, dass Größe und Dynamik eines geeinten Deutschlands mit einem stabilen europäischen Staatensystem nicht verträglich waren. Die deutsche Neigung zu politischer Aggressivität wurde vielfach nicht nur als Ausdruck der legitimen Verfolgung nationaler Interessen, sondern auch als eine typische Eigenart des deutschen Nationalcharakters angesehen. Vor dem Hintergrund von 74 Jahren deutscher Einheit zwischen 1871 und 1945, zweier Weltkriege, der nationalsozialistischen Herrschaft und nahezu 65 Millionen Menschen, die durch die Kriegshandlungen ums Leben gekommen oder in Konzentrationslagern ermordet worden waren, wurde behauptet, dass Deutschlands politische, wirtschaftliche und militärische Macht unausweichlich die Unabhängigkeit und das Wohlergehen seiner Nachbarn bedrohe. Überdies habe das verbreitete Obrigkeitsdenken seiner Bewohner Deutschlands nicht nur aggressiv nach außen, sondern auch empfänglich für den Totalitarismus im Innern gemacht.

 

 

Die Nachkriegsordnung Deutschlands und Mitteleuropas

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg schien es, als hätten die Teilung Deutschlands und die ameri-kanisch-sowjetische Vorherrschaft in Europa diese Bedrohung gebannt: Durch die Teilung und damit die Eindämmung deutscher Macht schienen Europa und die Welt sicher vor den Deutschen – und die Deutschen sicher vor sich selbst. Die deutsche Frage war vorläufig beantwortet. Aber die Wende von 1989 in der DDR stellte aus Sicht vieler europäischer Nachbarn Deutschlands diesen „Lösungsansatz“ wieder in Frage: Das vereinte Deutschland und Europa mussten aufs Neue lernen, miteinander zu leben.[4] Der Außenseiter Deutschland war endlich in der Mitte Europas angekommen.[5] Bundespräsident Richard von Weizsäcker (1984-1994) beschrieb dies so: „Der Tag ist gekommen, an dem zum ersten Mal in der Geschichte das ganze Deutschland seinen dauerhaften Platz im Kreis der westlichen Demo-kratien findet.“ Seit dem 03.10.1990 steht unverrückbar fest, wo Deutschland liegt, was dazu gehört und was nicht.[6]

 

Die Grundlage für die neue Positionierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg schuf maßgeblich das erste Dokument. Nachdem Deutschland Anfang Mai bedingungslos kapi-tuliert hatte, trafen sich vom 17.07. bis 02.08.1945 die Regierungschefs der drei großen Alliierten Mächte Sowjetunion, USA und Großbritannien in Potsdam. Im Abschuss­kommuniqué dieser Konferenz – dem sogenannten Potsdamer Abkommen – formulierten sie die weitere Behandlung Deutschlands, d.h. seine Besatzung, seine Aufteilung in vier Besatzungszonen, sowie die Aufteilung seines Staatsgebietes (Dokument Nr. 0). Obwohl es sich hierbei streng genommen nicht um einen völkerrechtlichen Vertrag handelte, hatte er de facto eine solche Wirkung. Der in ihm beschriebenen Teilung entsprechend entstanden im Jahr 1949 zwei deutsche Staaten. De facto war auch die Aufteilung des Staatsgebiets nach außen. Polen wurde durch deutsche Gebiete dafür „entschädigt“, dass ihm im Osten Gebiete durch die Sowjetunion „genommen“ wurden. Die so entstandene Ostgrenze Polens wurde durch den Grenzvertrag zwischen der Sowjetunion und Polen vom 16.08.1945 fixiert, drei Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (Dokument Nr. 1). Benannte deutsche Gebiete standen nach bundesdeutscher Sprachregelung „unter polnischer Verwaltung“. Ähnliches galt für den von Deutschland an die Sowjetunion abgetrennten nördlichen Teil Ostpreußens. Diese „Verwaltung“ sollte bis zur endgültigen Regelung durch einen Friedens-vertrag gelten.

 

Ein Friedensvertrag zwischen Deutschland und seinen Gegnern im Zweiten Weltkrieg wurde allerdings nie abgeschlossen. Einen solchen Vertrag schlug die Sowjetunion in einer Note vom 10.03.1952 vor (Dokument Nr. 2). Auch in den Jahren und Jahrzehnten danach wurde über einen Friedensvertrag diskutiert. Eugen Gerstenmaier (CDU), der Präsident des Deutschen Bundestages (1954–1969), äußerte sich hierzu in einem Interview am 12.03.1958 (Dokument Nr. 15).

 

 

Der Vier-Mächte-Status und die Teilung in zwei deutsche Staaten

 

Konrad Adenauer, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland (1949–1963), entschied sich für eine Westbindung der Bundesrepublik, auch wenn dies auf eine Teilung Deutschlands hinauslief. Die deutsche Sozialdemokratie unter ihrem ersten Nachkriegsvorsitzenden Kurt Schumacher und seinem Nachfolger Erich Ollenhauer wollte indes der Wiedervereinigung dem Vorrang vor der Westintegration zuerkennen. Die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Drei Mächten (Frankreich, Vereinigtes Königreich und Vereinigte Staaten) und der Bundesrepublik in der ersten Hälfte der 1950er Jahre ist in den Dokumenten 3, 5-11 und 13 nachzulesen.

 

Von Interesse dürfte auch Dokument Nr. 4 sein, die Erklärung der Bundesrepublik betreffend Hilfeleistungen für Berlin vom 26.05.1952. Die Berlin-Frage, der umstrittene Sonderstatus der Stadt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, stellte einen Teilaspekt der deutschen Frage dar. Zunächst erkannten die Sowjetunion und die DDR den Viermächtestatus Berlins noch voll an. Ab den 1950er Jahren richteten sie sich jedoch dagegen: Abschaffung der Ost-Berliner SPD und Bau der Berliner Mauer, 1961; Einführung der Wehrpflicht und Präsenz der NVA in Berlin-Ost, 1962; Ende der getrennten Verkündung von DDR-Gesetzen im Ost-Berliner Verordnungsblatt und Direktwahl von Abgeordneten aus Berlin-Ost zur Volks­kammer der DDR, 1976; Wegfall der Kontrollen an der Stadtgrenze zwischen Berlin-Ost und der DDR, 1977.

 

Die Berlin-Frage kann in fünf Dimensionen aufgegliedert werden: innenpolitisch aus Sicht der beiden deutschen Staaten (jeweils möglichst weitreichende Integration Berlins bzw. des des östlichen/westlichen Stadtteils); außenpolitisch aus Sicht der Vier Mächte (Frankreich, Sowjetunion, Vereinigtes Königreich, Vereinigte Staaten), die ihren Einfluss in Berlin sichern wollten; geostrategisch (besondere Bedeutung Berlins wegen der Insellage innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone); staats- und völkerrechtlich wegen der internationalen recht­lichen Sonderstellung Berlins und seines rechtlichen Verhältnisses zu DDR und Bundes­republik; humanitär, da die Teilung Berlins großes menschliches Leid mit sich brachte. Dieses Leid sollte durch das Passierscheinabkommen vom 17.12.1963 zwischen der Regierung der DDR und dem Senat von Berlin (West) gelindert werden. Es ermöglichte mehr als zwei Jahre nach dem Bau der Berliner Mauer erstmals wieder West-Berlinern die Einreise in den Osten Berlins (Dokumente Nr. 17, 18).

 

Fünf Monate vor Unterzeichnung des Passierscheinabkommens hielt Egon Bahr (SPD), der damalige Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin und Sprecher des Senats des Landes Berlin (und somit des Regierenden Bürgermeisters von Berlin-West, Willy Brand), am 15.07.1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing eine viel beachtete Rede mit dem Titel „Wandel durch Annäherung“, die auch als „Tutzinger Rede“ bekannt wurde. Als Zielsetzung bundesdeutscher Außenpolitik forderte Bahr die Aufgabe der von der westlichen Welt postulierten „Politik der Stärke“. Er vertrat die Ansicht, dass die Fortführung dieser Politik keinerlei Realitäts- und Aktualitätsbezug besitze. Veränderungen auf der „anderen“ Seite könnten nur langfristig, durch eine große Anzahl kleiner Schritte erreicht werden. Und diese seien notwendig, um die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten zu erreichen. Der Kontakt zu den osteuropäischen Staaten müsse daher in einem Klima der Entspannung aufgenommen werden.[7] Bahr setzte auf eine aktive Verständigung mit der DDR, weil jede Änderung nur mit Zustimmung, aber nicht gegen den Willen der Machthaber in der DDR zu erreichen sei. Die Friedrich-Ebert-Stiftung beschreibt Bahrs Thesen als „visionär“.[8]

 

Inhaltlich bezog sich Bahr ausdrücklich auf eine Ansprache John F. Kennedys zur akade-mischen Abschlussfeier der American University in Washington, D.C. vom Vormonat (10.06.1963). Diese Rede, auch als „American University speech“ bekannt, gilt als eine der besten Reden Präsident Kennedys und als Meilenstein unter den politischen Ansprachen der USA im 20. Jahrhundert. Sie wird auch heute noch zitiert.[9] Kennedy bekannte sich in seiner Rede ausdrücklich zur Verteidigung Westeuropas und West-Berlins. Diese Ansprache ist in diesem Band nicht als Dokument enthalten. Daher sollen mehrere Passagen in dieser Einleitung wiedergegeben werden:

 

“(…) Some say that it is useless to speak of peace or world law or world disarmament, and that it will be useless until the leaders of the Soviet Union adopt a more enlightened attitude. I hope they do. I believe we can help them do it. But I also believe that we must reexamine our own attitudes, as individuals and as a Nation, for our attitude is as essential as theirs. And every graduate of this school, every thoughtful citizen who despairs of war and wishes to bring peace, should begin by looking inward, by examining his own attitude towards the possibilities of peace, towards the Soviet Union, towards the course of the cold war and towards freedom and peace here at home.

 

First examine our attitude towards peace itself. Too many of us think it is impossible. Too many think it is unreal. But that is a dangerous, defeatist belief. It leads to the conclusion that war is inevitable, that mankind is doomed, that we are gripped by forces we cannot control. We need not accept that view. Our problems are manmade; therefore, they can be solved by man. And man can be as big as he wants. No problem of human destiny is beyond human beings. Man's reason and spirit have often solved the seemingly unsolvable, and we believe they can do it again. (…)

 

Let us focus instead on a more practical, more attainable peace, based not on a sudden revolution in human nature but on a gradual evolution in human institutions – on a series of concrete actions and effective agreements which are in the interest of all concerned. There is no single, simple key to this peace; no grand or magic formula to be adopted by one or two powers. Genuine peace must be the product of many nations, the sum of many acts. It must be dynamic, not static, changing to meet the challenge of each new generation. For peace is a process – a way of solving problems.

With such a peace, there will still be quarrels and conflicting interests, as there are within families and nations. World peace, like community peace, does not require that each man love his neighbor, it requires only that they live together in mutual tolerance, submitting their disputes to a just and peaceful settlement. And history teaches us that enmities between nations, as between individuals, do not last forever. However fixed our likes and dislikes may seem, the tide of time and events will often bring surprising changes in the relations between nations and neighbors. So let us persevere. Peace need not be impracticable, and war need not be inevitable. By defining our goal more clearly, by making it seem more manageable and less remote, we can help all people to see it, to draw hope from it, and to move irresistibly towards it. (…)

 

So let us not be blind to our differences, but let us also direct attention to our common interests and the means by which those differences can be resolved. And if we cannot end now our differences, at least we can help make the world safe for diversity. (…)

 

We must deal with the world as it is, and not as it might have been had the history of the last 18 years been different. We must, therefore, persevere in the search for peace in the hope that constructive changes within the Communist bloc might bring within reach solutions which now seem beyond us. We must conduct our affairs in such a way that it becomes in the Communists' interest to agree on a genuine peace. (…)

 

For we can seek a relaxation of tensions without relaxing our guard. And, for our part, we do not need to use threats to prove we are resolute. (…)

 

Confident and unafraid, we must labor on – not towards a strategy of annihilation but towards a strategy of peace.”

 

 

Die völkerrechtlichen Verträge der Ost-Politik

 

Das neue Entspannungskonzept bildete sich im Kabinett von Bundeskanzler Willy Brandt heraus. Das Besondere an diesem Konzept war, dass nicht nur kurz- oder mittelfristig ein spezifischer Konsens ins Blickfeld genommen wurde, sondern eine langfristige Annäherung. Gefordert wurde eine Konzentration auf gemeinsame Interessen, u.a. die atomare Risiko-minderung, humanitäre Erleichterungen und die beidseitige Akzeptanz des Status quo. Im Herbst 1969 erklärte die Bundesregierung, dass sie die DDR zwar nicht völkerrechtlich, aber staatsrechtlich als einen der „zwei Staaten in Deutschland“, die „füreinander nicht Ausland“ seien, im Sinne einer gemeinsamen Nation sehe. Der bisherige bundesdeutsche Alleinvertretungsanspruch für alle Deutschen, der die Bevölkerung der DDR bis dahin einschloss, wurde aufgegeben. Die DDR wurde in die Entspannungspolitik bewusst einbezogen und die vom Ostblock geforderte gesamteuropäische Sicherheitskonferenz (die spätere Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE) wurde auch von westlicher Seite als ein positives politisches Instrument betrachtet und angenommen.

 

Am 19.03.1970 kam es in Erfurt zum ersten deutsch-deutschen Treffen auf der Ebene der Regierungschefs: der DDR-Ministerpräsident Willi Stoph und Bundeskanzler Willy Brandt. Zwar blieb das Gipfeltreffen ohne konkretes Ergebnis. Es stellte aber den Auftakt der deutsch-deutschen Annäherung im Rahmen der neuen Ostpolitik der Regierung Brandt dar. Der Gegenbesuch am 21.05.1970 in Kassel brachte ebenfalls kein konkretes Ergebnis. Noch im selben Jahr folgte aber die Unterzeichnung des Vertrags zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion am 12.08.1970 (Dokument Nr. 19) und des Vertrags über die Normalisierung zwischen der Bundesrepublik und Polen am 07.12.1970 (Dokument Nr. 20). Der Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Tschechoslowakei wurde drei Jahre später am 11.12.1973 (Dokument Nr. 25) unterschrieben.

 

 

 

Am 03.05.1971 musste Walter Ulbricht als Erster Sekretär des Zentralkomitees der Sozialis­tischen Einheitspartei Deutschland zurücktreten. In diesem Amt wurde Erich Honecker sein Nachfolger. Vier Monate später, am 03.09.1971, wurde das Viermächte-Abkommen über Berlin unterzeichnet, am 17.12.1971 das Transitabkommen zwischen der DDR und der Bundesrepublik (Dokumente Nr. 21–23): Seitens der Sowjetunion und der DDR wurde erst-mals seit 1945 der ungehinderte Transitverkehr von Bundesbürgern auf Straße, Schiene und Wasser nach Berlin-West garantiert. Damals wurde das Modell „Vier plus Zwei“ geschaffen, das 19 Jahre später zur Formel „Zwei plus Vier“ wurde. Am 21.12.1972 wurde der Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR (Grund-lagenvertrag) unterschrieben, der beiden deutschen Staaten die UNO-Mitgliedschaft ermöglichte.[10]

 

Die Ostpolitik der Bundesregierung von SPD und F.D.P. wurde in der Bundesrepublik zunächst durchaus skeptisch aufgenommen, insbesondere von der CDU/CSU, die hierin einen Gegensatz zur von Konrad Adenauer geförderten Westbindung der Bundesrepublik sah. CDU/CSU hielten das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung der Vertragspolitik der Regierung Brandt für unausgewogen. Die Wähler sahen dies jedoch anders. Am 19.11.1972 wurde ein neuer Bundestag gewählt. Die SPD erhielt 45,8 Prozent der Zweitstimmen, bei einer Wahlbeteiligung von 91,1 Prozent. Dies war ein Zugewinn von 3,1 Prozent gegenüber der Bundestagswahl 1969. Der Koalitionspartner der SPD, die F.D.P, erhielt 8,4 Prozent (2,6 Prozent mehr als 1969). Die CDU/CSU erhielt zwar 44,9 Prozent, gegenüber der Bundes-tagswahl 1969 musste sie aber einen Verlust von 1,2 Prozent hinnehmen. Das Wahlergebnis ist als Zustimmung vieler Menschen zur Ostpolitik zu werten. Auch das Bundesverfassungs-gericht stimmte der Bundesregierung zu und wertete den Grundlagenvertrag als verfassungs-konform. Später betrachtete auch die CDU/CSU die Ostpolitik als Grundlage ihrer Deutsch-landpolitik.

 

Die als Ostverträge (1963–1973) bekannt gewordenen Übereinkünfte waren vor allem eine Antwort auf die Verfestigung der Teilung Deutschlands durch den Bau der Berliner Mauer. Nachdem die Wiedervereinigung in immer weitere Ferne gerückt war, musste es der Bundes-republik darauf ankommen, die Folgen der Teilung erträglicher zu gestalten und dadurch den Zusammenhalt der Nation zu sichern. Die Wiederherstellung der deutschen Einheit blieb ein offizielles Staatsziel der Bundesrepublik. Aber die Erwartung, dass es jemals wieder einen deutschen Nationalstaat geben würde, ging nach Abschluss der Ostverträge kontinuierlich zurück, insbesondere bei den jüngeren Westdeutschen.[11]

 

Im Dezember besuchte Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) Erich Honecker in der DDR. Schmidt lud Honecker zu einem Gegenbesuch ein. Dieser Gegenbesuch kam erst im September 1987 zustande; Gastgeber in Bonn war Schmidts Nachfolger als Bundeskanzler, Helmut Kohl (CDU) (Dokument Nr. 26).

 

 

Die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland

 

Für die deutsche Wiedervereinigung war die Lösung der „deutschen Frage“ elementar. Sie stellte den äußeren Aspekt der deutschen Einheit dar. Verhandelt wurde dieser vor allem in den sogenannten Zwei-plus-Vier-Gesprächen, bei denen die beiden deutschen Staaten mit den vier alliierten Mächten zusammensaßen. Der daraus entstehende „Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland“ – oder Zwei-plus-Vier-Vertrag – ist ein Staatsvertrag[12] zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik sowie Frankreich, der Sowjetunion, Großbritannien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Er machte den Weg für die Wiedervereinigung Deutschlands frei, wurde am 12. September 1990 in Moskau unterzeichnet und trat am 15. März 1991, dem Tag der Hinterlegung der letzten Ratifikationsurkunde, mit einer offiziellen Zeremonie in Kraft.
(Band 31/Dokument Nr. 136)

 

Die weiteren in diesem Band enthaltenen Dokumente betreffen die diversen völkerrechtlichen Problematiken, die in diesem Zusammenhang diskutiert und bearbeitet wurden. Sie ent­stammen dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amts und wurden alle im Jahr 1990 verfasst. Dabei geht es um eine Vielzahl von Themen wie z.B. die deutsch-polnische Grenze (Dokument Nr. 28); Überlegungen zu einer friedensvertraglichen Regelung (Dokument Nr. 29); die Reparationsfrage (Dokument Nr. 30); die Anpassung des Rechts der Europäischen Gemeinschaften bei Einbeziehung der DDR in die Europäischen Gemeinschaften als Teil der Bundesrepublik (Dokument Nr. 31); die Erstreckung des NATO-Vertrags auf Ostdeutschland (Dokument Nr. 32); den Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Ostdeutschland (Dokument Nr. 33); Anpassung, Fortgeltung oder Auflösung von völkerrechtlichen Verträgen nach der Wiedervereinigung (Dokumente 34, 35, 53, 57, 59 und 60) sowie den Zwei-plus-Vier-Mechanismus (Dokumente 36, 38, 39, 42 und 48).


[1] Namenszusatz seit dem späten 15. Jahrhundert.

[2] Manche sind allerdings der Meinung, das „deutsche Problem“ sei nicht gelöst: Deutschland sei zu stark, um mit seinen europäischen Partnern in einem System konföderierter Staaten zu existieren – und zu schwach, um seine Nachbarn um sich zu scharen und die aktuellen Herausforderungen zu meistern. Siehe z.B. Simms, Brendan. 2014. Deutschlands Rolle in Europa. Die „deutsche Frage“ meldet sich mit Wucht zurück. WirtschaftsWoche. 16.09.2014. http:// www.wiwo.de/ politik/ europa/ deutschlands-rolle-in-europa-die-deutsche-frage-meldet-sich-mit-wucht-zurueck/10694430.html. Abrufdatum: 14.01.2016.

[3] 1945, noch während des Zweiten Weltkriegs, wurde die Urfassung der Satzung der Vereinten Nationen formuliert. In der Satzung findet sich u.a. die „Feindstaatenklauseln“, in den Artikeln 53 und 107 (sowie ein Halbsatz in Artikel 77). Als Feindstaaten wurden in Artikel 53 jene Staaten definiert, die während des Zweiten Weltkriegs Feind eines Signatarstaats der Satzung der Vereinten Nationen waren, also primär das Deutsche Reich und Japan. Verschiedene Staaten befanden sich daher als „Vereinte Nationen“ im Konflikt mit dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten. Die Feindstaatenklauseln sind nach wie vor in der Satzung der Vereinten Nationen enthalten. Sie sind jedoch nach herrschender Lehre obsolet, zumal die damaligen Feind-staaten inzwischen längst Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sind.

[4] Görtemaker, Manfred. 2009. Die deutsche Frage in der internationalen Politik. Bundeszentrale für politische Bildung. http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-einheit/deutsche-teilung-deutsche-einheit/43750/die-deutsche-frage. Abrufdatum: 13.01.2016.

[5] Vgl. Wagner, Helmut. 2012. Vom Störenfried zum Bürgen. Die „deutsche Frage“ im europäischen Kontext. Asendorf: MUT-Verlag Bernhard C. Wintzek.

[6] Winkler, Heinrich August. Abschied von der deutschen Frage – Rückblick auf einen langen Weg nach Westen. http://www.tatsachen-ueber-deutschland.de/de/geschichte/main-content-03/abschied-von-der-deutschen-frage-rueckblick-auf-einen-langen-weg-nach-westen.html. Abrufdatum: 13.01.2016.

[7] http://web.ev-akademie-tutzing.de/cms/index.php?id=53. Abrufdatum: 13.01.2016.

[8] https://www.fes.de/archiv/adsd_neu/inhalt/stichwort/wandel.htm. Abrufdatum: 13.01.2016

[9] Vgl. Goldgeier, James. 2013. J.F.K.‘s ‚Strategy of Peace‘. New York Times. 09.06.2013. http://www.nytimes. com/2013/06/10/opinion/global/jfks-strategy-of-peace.html. Abrufdatum: 13.03.2016; Mufson, Steven. 2015. Obama will echo Kennedy’s American University nuclear speech from 1963. Washington Post. 04.08.2015. https: // www. washingtonpost. com / business / economy / obama-will-echo-kennedys-american-university-nuclear-speech-from-1963/2015/08/04/b037d0fe-3ab8-11e5-b3ac-8a79bc44e5e2_story.html.

Abrufdatum: 13.01.2016.

[10] Bahr, Egon. 2009. Drei Briefe und ein Staatsgeheimnis. Herbst 1969: Bundeskanzler Willy Brandt wird ein Schreiben vorgelegt. Erst weigert er sich, es zu unterzeichnen – dann tut er es doch. Die Zeit, 14.05.2009. S. 3. http://www.zeit.de/2009/21/D-Souveraenitaet. Abrufdatum: 14.01.2016.

[11] Winkler, Heinrich August. Abschied von der deutschen Frage – Rückblick auf einen langen Weg nach Westen. http://www.tatsachen-ueber-deutschland.de/de/geschichte/main-content-03/abschied-von-der-deutschen-frage-rueckblick-auf-einen-langen-weg-nach-westen.html. Abrufdatum: 13.01.2016.

[12] Es handelt sich um keinen völkerrechtlichen „Friedensvertrag“. Dieser hätte die Einbindung aller Kriegs-gegner Deutschland erfordert. Der Zwei-Plus-Vier-Vertrag wird deswegen von verschiedenen Seiten kritisiert, u.a. bzgl. der Gültigkeit der Regelungen betreffs der ehemaligen deutschen Ostgebiete.

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