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Band 41: Ostdeutsche Judikative und Exekutive im Aufbau (2015)

Prof. Dr. Eun-Jeung Lee

Titel
Band 41: Ostdeutsche Judikative und Exekutive im Aufbau
Verfasser
Prof. Dr. Eun-Jeung Lee
Mitwirkende
Alexander Pfennig / Arne Bartzsch, Jean Yhee, Daniel Schumacher, Dung Vu Tien, Hanan El-Asmer, Katharina Müller, Hoon Jung
Art
Text

Ostdeutsche Judikative und Exekutive im Aufbau

 

 

Alexander Pfennig

in Zusammenarbeit mit Arne Bartzsch, Jean Yhee, Daniel Schumacher,

Dung Vu Tien, Hanan El-Asmer und Katharina Müller

 

 

 

Am 19.12.1989 hängten die Museumsmitarbeiter im Japanischen Palais, in der Inneren Neustadt Dresdens am Ufer der Elbe gelegen, gegenüber von dem Hotel, in dem Bundes-kanzler Helmut Kohl den neuen Ministerpräsidenten der DDR, Hans Modrow, traf, ein Trans-parent auf: „Bundesland Sachsen grüßt den Bundeskanzler“. Die Menschenmassen auf der Straße führten außer schwarzrotgoldenen Flaggen ohne DDR-Emblem auch weißgrüne sächsische Flaggen mit sich.[1]

 

Einige Monate später, im Jahr 1990, war nicht „nur“ die Wiedervereinigung, sondern auch die (Rück-) Umwandlung von Bezirken in (Bundes-) Länder in Ostdeutschland beschlossene Sache. Diese Bundesländer schufen ihre eigenen Landtage und Landesregierungen. Und sie gaben sich eigene Verfassungen. Darüber hinaus benötigten die ostdeutschen Länder ihre eigene Gerichtsbarkeit. Diesem Thema ist der vorliegende Band gewidmet. Fast alle in diesem Band enthaltenen Dokumente entstammen den Jahren 1991 bis 1994. In ihnen wird die Rechtspflege in der DDR bis 1989 nicht schwerpunktmäßig thematisiert. Das soll in dieser Einleitung kurz versucht werden.

 

Die Rechtspflege in der DDR war durch eine Verengung und Lückenhaftigkeit des gericht-lichen Rechtsschutzes gekennzeichnet. Eine Verfassungsgerichtsbarkeit existierte nicht, ebenso wenig wie eine Finanzgerichtsbarkeit. Eine rudimentäre Verwaltungsgerichtsbarkeit bestand erst seit dem 01.07.1989; zuvor waren die Kreisgerichte in einzelnen Verwaltungs-rechtssachen zuständig. Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte war durch eine beson-dere Militärgerichtsbarkeit (seit 1956) eingeschränkt[2] und durch die Tätigkeit der gesell-schaftlichen Gerichte[3] zum Teil ersetzt.

 

Auf dem Gebiet der Verträge zwischen Wirtschaftseinheiten waren Vertragsgerichte (Behörden) tätig. Die Vertragsgerichte bestanden außerhalb der normalen staatlichen Gerichtsbarkeit der DDR.[4] Sie waren zuständig für Streitigkeiten zwischen volkseigenen Betrieben und Genossenschaften. Insoweit war der Rechtsweg zu den Kreis- und Bezirks-gerichten und zum Obersten Gericht der DDR ausgeschlossen. Die staatlichen Vertrags-gerichte unterstanden dem Ministerrat der DDR. Sie waren keine Gerichte im bundes-deutschen Sinn, sondern Behörden, die Vertragskonflikte zwischen Betrieben mit dem Ziel einer reibungslosen Durchführung der Planwirtschaft regelten. Das Vertragsgericht als Instrument der sozialistischen Planwirtschaft wurde mit der Einführung der Währungs-, Wirt-schafts- und Sozialunion aufgehoben. Den Vertragsgerichten wurde ihre Entscheidungs-kompetenz genommen und die Zuständigkeit der allgemeinen Gerichte wurde hergestellt.[5]

 

Auf dem Gebiet der Sozialversicherung wurde anstelle eines gerichtlichen Rechtsschutzes eine Streitschlichtung durch Beschwerdekommissionen gewährt. Angelegenheiten der frei-willigen Gerichtsbarkeit[6] wurden seit 1952 durch Verwaltungsbehörden und die Staatlichen Notariate (seit 1952 an den Bezirksgerichten) wahrgenommen. Auf dem Gebiet des Arbeits-rechts waren in erster Linie die gesellschaftlichen Gerichte tätig.

 

Für den Beginn der 1990er Jahre war ein auf ein hohes Niveau steigender Geschäftsanfall bei den Arbeits- und Sozialgerichten vorauszusehen (siehe Dokumente Nr. 4, 6, 23 und 27). Auf Grundlage des Einigungsvertrages galten seit dem 03.10.1990 nur noch wenige Teile des DDR-Arbeitsrechts – und auch diese meist befristet. Angewandt wird im Wesentlichen das Arbeitsrecht der Bundesrepublik.

 

Beim Auf- und Umbau der Justiz in Ostdeutschland sollte auch ihre Unterbringung nicht vergessen werden. Diesen Punkt beleuchten die Dokumente Nr. 13, 14 und 33 mit Beispielen aus den Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.


[1] Schimpff, Volker. 2014. „nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Andro-hung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen“. 20 Jahre Sächsische Verfassung. Forum historiae iuris. Erste europäische Zeitschrift für Rechtsgeschichte. 17.06.2014. http://www.forhistiur.de/media/ zeitschrift/1405Schimpff_final_2.pdf. S. 2. 12.01.2016.

[2] Abgeschafft durch Verfassungsgesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes vom 05.07.1990: Gesetz-blatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, 1990, Nr. 42, S. 634. In der Weimarer Republik existierte keine Militärgerichtsbarkeit, in der Bundesrepublik wurde sie ebenfalls abgeschafft.

[3] Vergleiche Einleitung zu Band 40, S. 2.

[4] Verordnung vom 18.04.1963 in der Fassung vom 12.03.1970, Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil II, 1970, S. 209.

[5] Durchführungsverordnung zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 06.06.1990: Gesetzblatt der Deutschen Demo-kratischen Republik, Teil I, 1990, Nr. 38, S. 484. Horn, Norbert. 1991. Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet. Köln: Verlag Kommunikationsforum GmbH. S. 478.

[6] U.a. Vormundschaftssachen, Betreuungsverfahren, Unterbringungsverfahren, Nachlasssachen, Registersachen (z.B. Handelsregister, Vereinsregister), Grundbuchsachen, Beurkundungstätigkeiten.

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