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Teilprojekt B7. Die Politik des Ästhetischen im westeuropäischen Kino

Filmstill aus: Jean-Luc Godard: Les Carabiniers, Frankreich 1963

Filmstill aus: Jean-Luc Godard: Les Carabiniers, Frankreich 1963

Leitung

Prof. Dr. Hermann Kappelhoff

Wissenschaftliche MitarbeiterInnen

Sarah Mai-Dang, M.A. / Dr. Bernhard Groß / Dr. Daniel Illger / Michael Lück, M.A. / Moritz Schumm, M.A. / Hanno Berger, M.A.

Studentische Hilfskräfte

Jasper Stratil / Christian Lippe

Projektbeschreibung

In unserem Teilprojekt fragen wir danach, wie das Verhältnis von Politik und ästhetischer Erfahrung im westeuropäischen Kino zwischen 1945 und 1990 konzeptualisiert wurde und beschrieben werden kann. Ging es zunächst um solche filmpoetischen Entwürfe, die dem Paradigma der „Neuen Realismen“ zuzurechnen sind, wenden wir uns in der aktuellen Förderperiode dem populären Genrekino zwischen 1950 und 1960 zu. Mit der Wahl des Gegenstandsfelds antworten wir auf ein grundlegendes Desiderat, das durch die bisherige Forschungsarbeit deutlich wurde. Konnten am unmittelbaren Nachkriegskino (1945 bis 1952) und am europäischen Autorenkino (ab 1962) Poetiken beschrieben werden, die auf eine Reflexivität der gesellschaftlichen Wahrnehmungsbedingungen zielen, wird nun die in historischer wie poetologischer Sicht ausgesparte Kehrseite des westeuropäischen Kinos in den Blick genommen.Das Genrekino soll als ein spezifisches System der Unterhaltungskultur untersucht werden, das ein Zusammenspiel unterschiedlicher Affektpoetiken organisiert. Zu klären ist, ob sich dieses Kino als ein Erfahrungsraum beschreiben lässt, in dem ästhetische Rezeptionsweisen als politisch wirksame Erfahrungen zu fassen sind. In theoretischer Hinsicht stellt sich so die Frage, ob und in welchem Sinne sich die Affektpoetiken des Genrekinos auf das Konzept einer „Politik des Ästhetischen“ beziehen lassen. Im Anschluss an den Begriff des Gemeinsinns (Hannah Arendt) soll untersucht werden, wie sich die vorderhand wirkungsästhetischen Erfahrungsmodalitäten des Genres zur Reflexivität von Urteilsprozessen verhalten. In historischer Hinsicht umfasst das Teilprojekt zum einen eine Untersuchung zum westdeutschen Genrekino zwischen 1951 und 1962 und zum anderen eine Studie zu den sogenannten B-Genres im britischen und italienischen Kino der 1950er und 1960er Jahre.

Unterprojekt 1: Der Erfahrungsraum des Genrekinos

(Prof. Dr. Hermann Kappelhoff)

In diesem Unterprojekt soll ein genretheoretischer Ansatz erarbeitet werden, der die Wechselbeziehungen zwischen den auf eine Reflexivität von Wahrnehmungsweisen zielenden Filmpoetiken und den Affektpoetiken des Genrekinos erfasst.Einen Ausgangspunkt bilden dabei jene Ansätze, die Genre als eine Erfahrungsform beschreiben, die durch spezifische ästhetische Darstellungsweisen geprägt ist. Im Unterschied zu produktionsästhetisch und texttheoretisch fundierten Modellen, in denen die mythen- und ideologiebildende Funktion im Vordergrund steht, wird hier das Genre in Beziehung zu Wirkungsstrategien gesetzt, die in der jüngeren Forschung vor allem als Formen der Emotionalisierung beschrieben werden. Einen weiteren Ausgangspunkt für die Entwicklung des genretheoretischen Ansatzes bildet die Überlegung, dass die Spannung zwischen Kunst- und Unterhaltungskultur als konstitutiv für das Genrekino auszuweisen und theoretisch aufzuschließen ist: nämlich als Historizität des Genres.

Unterprojekt 2: Das westdeutsche Genrekino der 1950er und 1960er Jahre

(Prof. Dr. Hermann Kappelhoff, Dr. Bernhard Groß, Sarah-Mai Dang M.A., Michael Lück M.A.)

Bereits zu Beginn der 1950er Jahre kann man in Westdeutschland von einem ausdifferenzierten Genrekino sprechen, das von einheimischen Produktionen beherrscht wird, im Zentrum der populären Unterhaltungskultur steht und zu Beginn der 1960er Jahre einen deutlichen Wandel erfährt, der sich in der Abschwächung bestimmter Genres (etwa des Heimatfilms) und der Verbreitung anderer Genres (etwa des Krimis) ausdrückt. Ausgehend von diesen Beobachtungen konzentriert sich die Untersuchung auf Filme der Jahre 1951 bis 1962. Lässt sich in dieser Zeit doch geradezu exemplarisch die Entstehung und der Wandel eines ganzen Genresystems beobachten. Das Korpus besteht aus den sieben meistgesehenen Filmen des jeweiligen Jahres sowie aus in der Forschungsliteratur und in der Filmkritik prominent vertretenen Produktionen. Das Projekt zielt darauf, die filmpoetischen Konzepte des westdeutschen Genrekinos analytisch zu erschließen. In einem weiteren Schritt geht es um die Frage, wie sich die auf den Wandel und das Zusammenspiel der verschiedenen poetischen Elemente und Verfahren bezogenen ästhetischen Rezeptionsweisen vor dem gesellschaftlichen Hintergrund der 1950er und 1960er Jahre als politisch wirksame Erfahrungen fassen lassen – eine Frage, die schließlich auch das Verhältnis des Genrekinos zu den Filmpoetiken der „Neuen Realismen“ (in den unmittelbaren Nachkriegsjahren) und des europäischen Autorenkinos (seit Anfang der 60er Jahre) betrifft.

Unterprojekt 3: Das britische und italienische B-Genrekino der 1950er und 1960er Jahre

(Dr. Daniel Illger)

Ab Mitte der 1950er Jahre entstand in Großbritannien und Italien ein neues Genrekino. Es formierte sich im B-Sektor der Produktion und wies in beiden Ländern ein ähnliches Profil auf: Es wurde geprägt durch Spielarten des Horror- und Abenteuerfilms. Die filmanalytische Erschließung dieses Gegenstandsfelds soll die Grundlage für die theoretische Bestimmung einer spezifischen ästhetischen Erfahrungsmodalität des B-Genrekinos schaffen. Zu berücksichtigen ist dabei die in der Forschung häufig vertretenen These vom gemeinschaftsstiftenden Potential der B-Genres (Fangemeinschaften) sowie der bislang kaum beachtete Umstand, dass sich das britische und italienische B-Genrekino auf Genreformen des klassischen Hollywoodkinos bezieht.Das vor diesem Hintergrund zu entwickelnde genretheoretische Konzept soll als Bezugspunkt für die Bewertung der historischen und politischen Implikationen des B-Genres dienen. Hier stellt sich die Frage, ob und wie sich ein spezifischer Erfahrungsmodus des ‚idiosynkratischen Geschmacks’ und der reflexiven Bezugnahme auf historische Genremuster zur gemeinhin behaupteten subversiven Dimension des B-Genres verhält.