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Profil des SFB 626

Seit dem Jahresbeginn 2003 arbeitet an der Freien Universität Berlin der Sonderforschungsbereich 626 Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste. Anfang Januar 2011 begann die dritte vierjährige Förderperiode, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit insgesamt 10,5 Mio. Euro fördert. Der Sitz des SFB ist die ehemalige Direktionsvilla des Botanischen Gartens in Berlin-Dahlem.

Zur Programmatik des SFB

Über die drei Förderperioden hinweg zielt die Gesamtprogrammatik des SFB auf die wechselseitige Erläuterung (a) des ästhetischen Erfahrungskonzepts, (b) des Status der Kunst und des Ästhetischen in der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart, mit vergleichenden Rückgriffen auf die klassische Moderne und frühere Epochen, sowie (c) der Relationierung der Künste untereinander. Die Aktualität der im SFB erfolgenden Untersuchungen ergibt sich aus zwei Entgrenzungstendenzen, die sich in der Kunstentwicklung der letzten Jahrzehnte beobachten lassen: einerseits aus der zunehmenden Vernetzung der Künste untereinander, andererseits aus der Destabilisierung der Grenze zwischen Kunst und Nicht-Kunst, welch letztere durch die oft kritisch diagnostizierte Ästhetisierung der Lebenswelt, aber auch durch das gegenläufige Programm einer Repolitisierung der Kunst erfolgt. Der SFB reflektiert eine Problematik mit langer Geschichte von einem Standpunkt aus, der sich der weitreichenden Veränderungen des Ästhetischen und der Kunst durch jüngste und gegenwärtige Entwicklungen bewusst ist. Die Forschungen nehmen ihren Ausgang von konkreten Phänomenen und Kunst-werken und erproben innovative interdisziplinäre Zugänge, die sowohl die Methodenvielfalt der Disziplinen wie auch ihre unterschiedlichen Fokussierungen auf geteilte Untersuchungsfelder nutzbar machen.Im Rahmen der Gesamtprogrammatik wurden in den drei Förderperioden Akzentverschiebungen vorgenommen. Die erste Förderperiode konzentrierte sich auf das Konzept der ästhetischen Erfahrung, als Konstitution sowie als Vermittlung des ästhetischen Subjekts und des ästhetischen Objekts. Untersucht wurden die historische Transformation der ästhetischen Erfahrung in den verschiedenen Phasen der Moderne, aber auch in älteren, vormodernen Epochen, die Spezifik der ästhetischen Erfahrung in den einzelnen Künsten und schließlich die historischen und kulturellen Reichweiten und Grenzen des ästhetischen Erfahrungskonzepts. In der zweiten Förderperiode richtete sich das Augenmerk verstärkt auf das Phänomen der Entgrenzung. Thematisiert wurde die Entgrenzung der Künste untereinander, so wie sie sich insbesondere in den Entwicklungen seit den 1960er Jahren zeigt, die das Verständnis der einzelnen Künste als autopoietisch geschlossene Systeme untergruben. Zugleich ging es um die wechselseitigen Transfers zwischen Kunst und Nicht-Kunst bzw. Ästhetischem und Nicht-Ästhetischem und die damit implizit oder explizit einhergehenden Kontroversen zur Autonomie der Kunst. In der dritten, abschließenden Förderperiode werden die Ansätze der ersten und zweiten Förderperiode fort- und zugleich zusammengeführt, indem Erfahrung und Entgrenzung direkt aufeinander bezogen werden. Ästhetische Erfahrung wird als zeitbasierter mentaler und gegenstandsbezogener Prozess begriffen, der konstitutiv mit bestimmten Dynamisierungen verbunden ist. Diese Dynamisierungen schließen immer schon Entgrenzungen ein. Diese der ästhetischen Erfahrung konstitutiv innewohnenden Entgren¬zungen werden in zwei Komplexen untersucht. Zum einen rückt der SFB die Formen ins Zentrum, die eine solche prozesshafte Weise des Erfahrens tragen und begünstigen. Zum anderen fasst er die Urteilsprozesse ins Auge, die darin involviert sind. Erfahrung, Urteil und Entgrenzung sind dabei in der Weise aufeinander bezogen, dass im ästhetischen Urteilen die Grenzen der Kunst und der Künste sowie der Zusammenhang der Künste je neu ausgehandelt werden. Diese beiden Komplexe bilden die Themen zweier SFB-übergreifenden Arbeitsgruppen, in denen sich die interdisziplinäre Arbeit des SFB bündelt. Unter dem Stichwort der Erfahrungsräume der Kunst werden diese beiden Komplexe in einer dritten Arbeitsgruppe zusammengeführt, die untersucht, wie in der Erfahrung der Kunst deren Selbst- und Fremdbezüge topologisch ineinanderspielen.

Zur Forschungsarchitektur des SFB

Der SFB umfasst insgesamt 16 Teilprojekte (14 Teilprojekte der Freien Universität Berlin sowie zwei Teilprojekte der Humboldt-Universität zu Berlin) aus überwiegend kunstwissenschaftlichen Fächern, aber auch aus anderen Disziplinen mit signifikantem Bezug zu Fragen der Kunst und der Ästhetik. Neben der Arbeit in den einzelnen Teilprojekten und der Zusammenarbeit zwischen einzelnen Teilprojekten erfolgt die interdisziplinäre Zusammenarbeit insbesondere in den drei genannten SFB-übergreifenden Arbeitsgruppen.

Arbeitsgruppe 1: Generische Formen und ihre Transfers

Im Mittelpunkt der ersten Arbeitsgruppe steht der heuristische Begriff der ‚generischen Form‘. Zu klären sind sowohl die Extension des Begriffs wie sein Erklärungswert im Hinblick auf die vom SFB untersuchten Entgrenzungsphänomene innerhalb der Künste und in den Bezügen der Kunst zu ihrem Außen. Beispiele für ‚generische Formen‘, die in der Arbeitsgruppe interdiziplinär untersucht werden, sind etwa Perspektivität, das Serielle, das Dokumentarische oder das Fiktionale. In erfahrungsästhetischer Perspektive ist danach zu fragen, ob und wie generische Formen auf bestimmte Erfahrungsformen bezogen sind; in produktionsästhetischer Perspektive ist das Verhältnis zwischen generischen Formen und bestimmten künstlerischen oder nicht-künstlerischen Verfahren zu klären. Die zu überprüfende Ausgangsthese hierzu lautet, dass generische Formen Erfahrungsimplikationen haben, dass sie also an der Art und Weise beteiligt sind, wie bestimmte Verfahren in der ästhetischen Erfahrung zu deren Gegenstand werden. Da die generischen Formen, so wie wir sie gegenwärtig definieren, weder mit bestimmten Künsten noch mit bestimmten Medien zusammenfallen, unterscheidet sich der in der Arbeitsgruppe verfolgte Ansatz von intermedialen Untersuchungsperspektiven auf die Künste, aber auch von den Diskursen über die ‚Ästhetisierung der Lebenswelt‘. An signifikantem Material werden in der Arbeitsgruppe die Motivationen, die Verfahren und die erfahrungsästhetischen Folgen des Transfers generischer Formen möglichst konkret untersucht – in der Erwartung, dass sich dadurch nicht nur diese Aspekte der Transferbewegungen genauer bestimmen lassen, sondern insgesamt das Phänomen der Kunstentgrenzung präziser gefasst werden kann.

Arbeitsgruppe 2: Ästhetisches Urteilen

Gegenstand dieser Arbeitsgruppe bildet die Dynamik ästhetischer Urteilsprozesse als Zusammenspiel von Vorurteilen, sinnlichen Erfahrungen, bereits bestehenden Erfahrungs- und Wissensbeständen, ästhetischen Zuschreibungen und begrifflichen Bestimmungen. Das Augenmerk gilt der Art und Weise, wie in der Wechselwirkung von Erfahrungs- und Urteilsprozessen diese verschiedenen Momente sich bestätigen oder konterkarieren, aber auch, wie die Erfahrungsprozesse die Urteilsprozesse affizieren und umgekehrt. Vor dem Hintergrund des begrifflichen Dreiecks von Erfahrung, Urteilen und Entgrenzung, die der SFB zur Grundlage seiner Diskussionen macht, ist dabei besonders danach zu fragen, wie die Prozesse ästhetischen Urteilens durch die Entgrenzungstendenzen der jüngeren und jüngsten Vergangenheit modifiziert werden, indem einerseits gegenwärtige und weiter zurückliegende Praktiken der Kunstkritik vergleichend herangezogen werden, andererseits Urteilsprozesse in Kunst und Nicht-Kunst miteinander korreliert werden. Entgrenzungsprozesse und Urteils¬prozesse sind dabei in der Weise aufeinander bezogen, dass im ästhetischen Urteilen die Grenzen der Kunst und der Künste sowie der Zusammenhang der Künste je neu ausgehandelt werden.In der Arbeitsgruppe wird des Weiteren zu erörtern sein, worin die Eigenarten der komplexen Urteilspraktiken in der Auseinandersetzung mit Kunstwerken, vor allem hinsichtlich von Interpretation und Kritik, bestehen, und inwieweit die sich dabei immer wieder einstellende Unentscheidbarkeit ein Spezifikum ästhetischen Urteilens ist.Im Lichte der erfahrungsästhetischen Wende der Ästhetik, aber auch der Kunstpraxis selbst ist schließlich zu untersuchen, was es für die Prozesse ästhetischen Urteilens bedeutet, wenn der Urteilsgegenstand kein Kunstwerk ist, das hinsichtlich seiner einzelnen Eigenschaften beurteilt wird, sondern vielmehr eine ästhetische Erfahrung, bei der die jeweiligen Kunstwerke (z. B. Duchamps Objekte) oder die künstlerischen Ereignisse (z. B. die Happenings der 1960er Jahre) lediglich als deren Veranlassung fungieren. Insbesondere bei solchen Kunstwerken, die eine Situation her¬zustellen versuchen, die den Rezipienten einschließt, gilt es deshalb, die Dynamik zwischen Immersion und Distanznahme zu berücksichtigen und diese als eine temporale, Urteilsprozesse involvierende Erfahrungsstrukturierung genauer zu erläutern. Denn Erfahrungen können zwar nur dann beurteilt werden, wenn sie gemacht werden, zugleich aber ist ihr Machen immer wieder auf eine urteilende Bezugnahme auf ihren Gegenstand angewiesen.

Arbeitsgruppe 3: Erfahrungsräume der Kunst

Die dritte Arbeitsgruppe widmet sich der Spannung der Kunsterfahrung zwischen Immanenz und Weltbezug ihres Wahrnehmungsgegenstandes. Die Kunst eröffnet partikulare Erfahrungsräume: partikular gegenüber nicht-künstlerischen, aber auch gegenüber anderen künstlerischen Erfahrungsräumen. Sie sollen anhand geeigneter Beispiele in ihren internen Strukturierungen und externen Bezügen untersucht werden, und zwar insbesondere daraufhin, wie beides miteinander verschränkt ist. Der Konnex von Selbst- und Weltbezügen aktualisiert sich in der Kunst, so die Ausgangsthese des SFB, durch die Transfers generischer Formen zwischen Kunst und Nicht-Kunst (die in der Arbeitsgruppe 1 genauer untersucht werden), andererseits durch die in die ästhetische Erfahrung eingelagerten Prozesse des Urteilens, die die Kunst zu andern Objekten, Begriffen oder Erfahrungen relationieren (die in der Arbeitsgruppe 2 thematisch werden). In der Arbeitsgruppe 3 werden diese Perspektiven zusammengeführt, indem die Kunsterfahrung im Licht dieser Transfer- und Urteilsprozesse, die die Erfahrung der Kunst immer schon auf nicht-künstlerische Erfahrungsbereiche hin entgrenzen, untersucht wird. Es geht um die Erarbeitung einer Perspektive auf die Kunst, die sich den Vereinseitigungen auf Selbst- oder Fremdbezüglichkeit der Kunst entzieht und stattdessen zu fassen versucht, wie beides in der Kunsterfahrung zusammenspielt.