Springe direkt zu Inhalt

Zwischen Stagnation und Krise? Die wirtschaftliche Entwicklung Nordkoreas

Einführung

Unsere Wahrnehmung der Wirtschaft Nordkoreas (Demokratische Volksrepublik Korea, DVRK) ist primär von Krisen und Missmanagement geprägt. Einerseits unterhält Nordkorea ein kostenintensives Nuklear- und Raketenprogramm, während das Land andererseits noch immer auf ausländische Hilfe angewiesen ist, um die eigene Bevölkerung zu ernähren. Gleichzeitig ist das Land eingebettet in eine der wirtschaftlich dynamischsten Regionen der Welt und besitzt beachtliche Rohstoffvorkommen und eine weitgehend gut ausgebildete und disziplinierte Bevölkerung. Diesen Chancen steht ein quasi chronischer Mangel in der Energie- und Kapitalversorgung, eine zerfallende Infrastruktur, typische strukturelle Mängel einer sozialistischen Planwirtschaft sowie ein umfassender internationaler Sanktionskatalog der internationalen Gemeinschaft gegenüber. In diesem Beitrag wird die historische Entwicklung Nordkoreas beleuchtet sowie abschließend die gegenwärtige Situation und Struktur des nordkoreanischen Wirtschaftssystems diskutiert.

Nordkoreas Wirtschaftsordnung kann als typisch sozialistisch bezeichnet werden. Wie Rüdiger Frank unter Verweis auf Janos Kornai (1992) jedoch zutreffend anmerkt, bedeutet dies nicht, dass alle sozialistischen Planwirtschaften gleich sind. Mitunter können erhebliche Unterschiede in den als sozialistisch bezeichneten Wirtschaftsordnungen identifiziert werden. „Typisch sozialistisch,“ so Frank, bedeutet in diesem Zusammenhang vielmehr dass die Wirtschaft politisch angeleitet wird von einer zentralen sozialistischen Partei sowie einer dominanten Ideologie. Darüber hinaus sind typische wirtschaftliche Charakteristika einer sozialistischen Wirtschaftsordnung das Fehlen von umfassendem Privateigentum bzw. umgekehrt formuliert der Dominanz von Staatseigentum sowie eine umfassende zentrale Planung bzw. bürokratische Koordinierung (Frank 2005). Hieraus ergibt sich, dass, im Unterschied zu Marktwirtschaften, die Wirtschaft als Instrument des Staates für die Umsetzung dessen politischer Ziele verantwortlich ist. Welche Unternehmen wie agieren wird also i.d.R. von staatlicher Stelle entschieden, der sich auch für das Festsetzen von Preisen verantwortlich zeigt und Grundbedürfnisse wie Lebensmittel oder Wohnraum stark subventioniert. All diese Faktoren sind in Nordkorea zweifelsohne gegeben. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass Nordkoreas Wirtschaft starr und unveränderbar ist, aller Bekundungen zur Eigenständigkeit der Wirtschaft Nordkoreas zum Trotz. In diesem Beitrag wird die wirtschaftliche Entwicklung Nordkoreas aus historischer Perspektive beleuchtet. Ein solcher historischer Blick ist nützlich, um Kontinuitäten und Wandlungsprozesse nachzuvollziehen und die gegenwärtigen Probleme und Chancen der nordkoreanischen Wirtschaft sowie Möglichkeiten und Grenzen von Reformprozessen realistisch einschätzen zu können.

Der Übergang von einer kolonialisierten zu einer sozialistischen Planwirtschaft

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges und der Besetzung des nördlichen Teils der koreanischen Halbinsel durch die Sowjetunion wurde mit dem „Provisional People’s Committee of North Korea“ im Februar 1947 eine von der Sowjetunion unterstützte Übergangsregierung geschaffen. Diese provisorische Regierung unternahm unmittelbare Schritte zur Einführung eines sozialistischen Wirtschaftssystems nach sowjetischem Vorbild. Im ökonomischen Bereich ging mit der Machtübernahme von Kim Il Sung in Nordkorea also ein Transformationsprozess von einem kolonialisierten hin zu einem sozialistischen Wirtschaftssystem einher. In dichter Folge trieb Nordkorea einen Umgestaltungsprozess voran, dessen sichtbarster Ausdruck die bereits 11 Tage nach Amtsantritt der provisorischen Regierung erlassene „erste Bodenreform“ sowie die sich daran anschließende Verstaatlichung der Industrie, des Banken-, sowie des Transport- und Kommunikationswesens waren (Koo Bon Hak 1992: 49). Mit der ersten Bodenreform vom März 1946 wurden die Ländereien der Japaner sowie deren Kollaborateure konfisziert und alle Grundbesitzer mit mehr als 5 Hektar Besitz enteignet. Das Land wurde unter besitzlosen Bauern verteilt. Anders als in der Landwirtschaft, wo zunächst also von der Kollektivierung abgesehen wurde, proklamierte das provisorische „People’s Committee of North Korea“ im Herbst 1946 die Verstaatlichung der wichtigsten Industrien. Kim Il Sung rechtfertigte diesen Schritt als notwendig für die rasche Rehabilitation des nordkoreanischen Wirtschaftssystems und als unabdingbar für die Errichtung eines autonomen und unabhängigen Staates.

Durch die rigorose Umsetzung der ersten ökonomischen Entwicklungspläne sowie dank massiver Unterstützung v.a. aus der Sowjetunion gelang Nordkorea bis 1950 die vollständige Erholung von dem mit dem Ende der Kolonialisierung einhergegangenen wirtschaftlichen Abschwung. Gleichermaßen kann jedoch bereits Ende der 1940er Jahre eine hochgradige wirtschaftliche Abhängigkeit Nordkoreas von Moskau festgestellt werden. So verweist bspw. Charles Armstrong (2003) darauf, dass die Gründung der nordkoreanischen Planwirtschaft ohne die sowjetische Unterstützung überhaupt nicht hätte umgesetzt werden können. Trotz, oder gerade wegen, dieser ökonomischen Dependenz von der Sowjetunion betonte Kim Il Sung bereits in den späten 1940er Jahren die Bedeutung von Unabhängigkeit (chaju) in der wirtschaftlichen Entwicklung Nordkoreas. Das Ziel, so Kim Il Sung im September 1948, müsse die „Entwicklung einer von allen Seiten unabhängigen nationalen Wirtschaft“ sein.

Die nordkoreanische Wirtschaft zwischen Krieg, Rehabilitierung und Aufschwung

Während des Koreakrieges zwischen 1950 und 1953 wurde die rasante wirtschaftliche Entwicklung Nordkoreas (vorerst) jäh gestoppt: Weite Teile der nordkoreanischen Industriestätten wurden zerstört oder umgesiedelt, bzw. in die unmittelbare Unterstützung des Kriegs eingebunden. Schätzungsweise 8700 Fabrikanlagen und -gebäude, über 6 Mio. Wohnungen und über 500 Schulen wurden im Verlauf des Kriegs zerstört (Kasakos 1970: 663). Nach Berechnungen von Chun und Park (1997: 673) fiel die Industrieproduktion 1953 gegenüber 1949 um 64%, wobei die Schwerindustrie und die chemische Industrie nahezu vollständig lahm gelegt wurden. Des Weiteren kam es durch die Zerstörung von Anbauflächen zu massiven Ernteausfällen.

Aus wirtschaftlicher Hinsicht sahen sich Nord- wie auch für Südkorea nach dem Ende des Koreakrieges mit der primären Herausforderung des Wiederaufbaus konfrontiert: Mit dem Drei-Jahres-Plan (1954-1956) sollte die zerstörte Wirtschaft und insbesondere der industrielle output wieder auf das Vorkriegs-Level gebracht werden. Daran schloss sich die Kollektivierung der ländlichen Betriebe an, die bereits während des Krieges mit der Gründung zahlreicher „Brigaden der gegenseitigen Hilfe“ begonnen hatte: „Binnen vier Jahren wurden fast alle Bauern, die im Zuge der [ersten] Landreform eigenen Boden erhalten hatten, in Kollektivwirtschaften zusammengefasst“ (Kasakos 1970: 664). Hierdurch sollte einerseits ein privates und frei wirtschaftendes Bauerntums verhindert und andererseits auch eine Vergrößerung des landwirtschaftlichen Überschusses und eine geordnete Überführung von Arbeitskräften in den industriellen Sektor erreicht werden (Ebd.). Nach Angaben von Kasakos (1970: 664) wurden zwischen 1953 und 1960 etwa 200.000 Arbeiter aus dem landwirtschaftlichen in den industriellen Bereich überführt, was in einer grundlegenden Veränderung der Beschäftigungsstruktur resultierte: waren 1953 noch ca. 66 % der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt, so verringerte sich diese Zahl 1960 auf etwa 44 % (Ebd.). Der unmittelbare Hintergrund dieser Umschichtungsbestrebungen war die strategische Entscheidung der Machthaber in P’yŏngyang, die Schwerindustrie zum industriellen Schlüsselsektor des ökonomischen Systems Nordkoreas auszubauen. Mit der Kollektivierung wurde letztlich also auch die Basis der Schwerindustrie verbreitert und eine sozioökonomische Basis für die anhaltenden Industrialisierungsbestrebungen in den 1960er Jahren geschaffen. Die folgende Tabelle verdeutlicht die Industrialisierungsbestrebungen Nordkoreas zwischen 1953 und 1960:

Tabelle 1: Die Zusammensetzung der nordkoreanischen Gesamtproduktion zwischen 1946 und 1960 (Angaben in Prozent)

 

1946

1953

1956

1960

Industrieller Sektor

28

42

60

71

Landwirtschaftlicher Sektor

72

58

40

29

Quelle: Koo Bon-hak (1992): S. 8

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Nordkorea ein beeindruckend zügiger und durchaus erfolgreicher Wiederaufbau gelang, der die Grundlage für den darauf folgenden wirtschaftlichen Aufschwung bildete. Die Infrastruktur wurde vergleichsweise schnell wieder aufgebaut, das Gesundheitswesen war bereits durchaus beachtlich entwickelt und auch das Analphabetentum war weitestgehend beseitigt (Kasakos 1970: 666). Südkoreanische und US-amerikanische Schätzungen gehen von einem wirtschaftlichen Wachstum zwischen 20 und 40% je nach Wirtschaftssektor aus, der bis in die 1960er-Jahre anhielt (Chun und Park 1997: 676-677). Nach Berechnungen von Niwa und Goto (1989) betrug das BIP pro Kopf 1959 im Norden 139 US-$, im Süden hingegen nur 81 US-$.Die Gründe für diesen Aufschwung sind sowohl intern wie auch extern zu verorten. Aus interner Perspektive ist der Grund für diesen durchaus erfolgreichen Wirtschaftsaufschwung zuvorderst in der rigorosen Umsetzung mehrerer zentral gelenkter Ausbaupläne zu sehen. Ferner führte Nordkorea seit Ende der 1950er Jahre mehrere Massenmobilisierungskampagnen wie etwa die „Chollima-Methode“, die „Chongsanri-Methode“ sowie die „Taeaner- Methode“ durch, die darauf abzielten, die Produktivität der Arbeit(er) zu steigern.1 Rüdiger Frank (2005: 241) stellt in diesem Zusammenhang fest, dass mit diesen Massenmobilisierungen „nicht nur [der] Mangel am Produktionsfaktor Kapital durch einen erhöhten Einsatz des Faktors Arbeit“ausgeglichen werden sollte. Die Bewegungen sollten darüber hinaus auch unmittelbar zur weiteren Verbreitung der staatlichen Chuch’e-Ideologie beitragen. Neben diesen internen Maßnahmen spielte jedoch vor allem auch die massive Aufbauhilfe aus den sozialistischen Ländern eine bedeutende Rolle bei dem ökonomischen Aufschwung. Alleine zwischen 1953 und 1960 erhielt Nordkorea 1,43 Mrd. US-$ Wirtschaftshilfe aus der UdSSR, China und der DDR. Gemessen am BIP war die Wirtschaftshilfe mit 18,5-22,5% im Norden deutlich höher als im Süden mit 16,1%. Chun und Park (1997: 679) schätzen, dass die Hilfszahlungen etwa 8 Prozentpunkte zum Wachstum beigetragen haben

Von der Verlangsamung des Wachstums zur Stagnation

In den 1960er Jahren, als sich der Konflikt zwischen Peking und Moskau verschärfte, geriet auch Nordkorea zunehmend zwischen die Fronten der innersozialistischen Auseinandersetzungen. Die Reaktion der Machthaber in Nordkorea auf die Vereinnahmungsversuche der beiden sozialistischen Mächte bestand in einer Besinnung der auf Unabhängigkeit ausgerichteten Chuch’e-Ideologie, was zur Verlangsamung des ökonomischen Wachstums beitrug. Darüber hinaus setzte Nordkorea im Zuge dieser Strategie ein umfassendes Militarisierungsprogramm um, mittels welchem letztlich auch eine vollständig autarke Landesverteidigung erreicht werden sollte.So entstand eine militärische Parallelwirtschaft, die über eigene Industrie- und Agrarbetriebe sowie eigene, vom regulären Wirtschaftskreislauf unabhängige administrative Strukturen inkl. Außenhandelskanälen verfügt.Schätzungen des südkoreanischen und US-amerikanischen Geheimdienstes zufolge nimmt die militärische Wirtschaft einen Anteil zwischen 25-40 % des gesamten BSP ein, was selbstverständlich eine enorme Belastung für die reguläre Wirtschaft bedeutet.

Die Konfrontation der beiden kommunistischen Länder sollte letztlich enorme Auswirkungen auf die nordkoreanischen Handelsbeziehungen innerhalb des kommunistischen Blocks nach sich ziehen. Besonders drastisch bemerkbar machte sich in den 1960er Jahren der Einbruch der Hilfszahlungen aus Moskau, die zwischen 1949 bis 1953 noch jährlich durchschnittlich 416,7 Mio. US-$ betrugen und nun zwischen 1961 und 1970 auf 42,5 Mio. US$ pro Jahr zurückgingen (Koo 1992: 106). Um das notwendige Kapital zu generieren nahm Nordkorea vor diesem Hintergrund seit Anfang der 1970er-Jahre zunehmend Kredite im westlichen Ausland auf. Nach Angaben von Chun und Park (1997: 686) stieg der Anteil an Krediten aus OECD-Ländern von 1% zwischen 1961 und 1970 im Zeitraum von 1971 bis 1980 auf 56,8% der ausländischen Kredit an. „Spätestens Ende der 1970er-Jahre sah sich Nordkorea allerdings erheblichen Schwierigkeiten gegenüber, da nach den Ölschocks die Importpreise für Kapitalgüter in die Höhe schnellten, während die Preise für Nordkoreas Hauptexportgüter (…) wie Blei und Zink auf dem Weltmarkt fielen“ (Gyodke 2003: 243). Vor diesem Hintergrund war es Nordkorea kaum mehr möglich, die Schulden zu begleichen. In der Folge zogen sich fast alle Länder aus dem Handel mit der DVRK zurück, was einen Einbruch im Handel mit dem Westen um über 25% zwischen 1976 und 1980 nach sich zog (Ebd.). Nordkorea ist seit dieser Zeit quasi abgeschnitten vom Zugang zu fortschrittlicher Technologie und internationalem Kapital. Doch nicht nur westliche Länder, auch Moskau begann die Rückzahlung der Kredite einzufordern.

Von der Stagnation zur Krise

Der Zusammenbruch des Ostblocks in Nordkorea bewirkte nach Jahren langsamer Kontraktion eine massive wirtschaftliche Krise in Nordkorea.Der Zusammenbruch des Ostblocks bedeutete nicht zuletzt auch ein Wegfall der sog. sozialistischen Handelspreise, was 1991 zu einem Rückgang des bilateralen Handels mit Moskau um ca. 86% im Vergleich zum Vorjahr bedeutete. Die von den Unternehmen nachgefragten Mengen an Rohmaterialien und Vorprodukten konnten nicht mehr gedeckt werden und auch die Energie- und Kapitalversorgung brach zunehmend zusammen. Die Infrastruktur begann zu zerfallen und die technische und technologische Ausrüstung in den Unternehmen veraltete zunehmend. Freigegebene Akten belegen ferner, dass die Rohöllieferungen von 440.000 t im Jahr 1990 auf 40.000 t im Jahr 1991 zurückfielen (Goydke 2003: 243) und gleichzeitig ging nach 1990 auch die Kohleförderung um 30% zurück. (Noland 2000: 97-98). Die zentralistische Planwirtschaft und damit einhergehendes Missmanagement trugen zudem zu einer Kontraktion der landwirtschaftlichen Produktion bei. Vor diesem Hintergrund gelang Nordkorea bis 1999 kein positives wirtschaftliches Wachstum mehr. Darüber hinaus wurde Nordkorea in den Jahren 1995 und 1996 von mehreren Naturkatastrophen wie bspw. starken Überflutungen sowie einer Dürreperiode 1997 getroffen, wodurch sich die Versorgungssituation seit Mitte der 1990er-Jahre drastisch verschärfte und nur dank fortwährender Nahrungsmittelhilfe eine Grundversorgung der Bevölkerung sichergestellt werden kann (Michell 1998: 144-145). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die heutige ökonomische Krise ihren Ursprung also in einem sich wechselseitig bedingenden und komplizierten Zusammenspiel von externen und internen Ereignissen und Entwicklungen seit den späten 1980er Jahren hat:

Abb. 1: Ursachen und Auswirkungen der nordkoreanischen Wirtschaftskrise

Quelle: Eigene Darstellung

Wie die Abbildung zeigt, liegt der wesentliche Hintergrund der Krise in dem Aufeinandertreffen von zwei weitreichenden Ereignissen: Dem Zerfall des kommunistischen Blocks (sowie der wirtschaftlichen Neuorientierung Chinas und Russlands) und den strukturellen Mängeln des nordkoreanischen Wirtschaftssystems. Die oben genannten Entwicklungen haben die ökonomische Krise dann schlagartig verschärft. Sichtbarster Ausdruck der Krise sind die vier großen Mängel: Nahrungsmittelmangel, Energiemangel, Kapitalmangel und Gütermangel.

Vor dem Hintergrund der dargestellten ökonomischen Krise sahen sich die Machthaber in P’yŏngyang zu einer politischen Reaktion gezwungen. In diesem Sinne setzte in den 1990er Jahren ein Prozess der vorsichtigen Umgestaltung der Wirtschaftsordnung ein, ein Prozess der bis heute andauert. Zwar lässt sich durchaus ein Unterschied zwischen den Wirtschaftspolitiken Kim Jong Ils und des gegenwärtigen Machthabers Kim Jong Un feststellen, doch gilt in beiden Fällen, dass, aufgrund der Natur des Regimes in Nordkorea, welches Regimestabilität als primäres Staatsziel verfolgt und allen weiteren Staatsziele diesem unterordnet, Modifikationen in der Wirtschaftspolitik nicht auf eine grundlegende Reform im Sinne einer qualitativen ökonomischen Transformation abziel(t)en. Vielmehr, so stellt auch Rüdiger Frank zutreffend fest, reflektiert die Wirtschaftspolitik Nordkoreas die Einsicht in die zwingendeNotwendigkeit einer Anpassung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums an grundsätzlich neue Bedingungen – jedoch mit dem alles überwölbenden Ziel der Regimestabilität. Darüber hinaus gilt sowohl für die Wirtschaftspolitik unter Kim Jong Il als auch unter Kim Jong Un, dass diese staatliche Antworten auf die Krise darstellen, die eingeleiteten Veränderungsprozesse also „von oben“ initiiert und soweit als möglich gesteuert wurden und werden. Wie Rüdiger Frank weiterhin anmerkt, bedeutet dies nicht, dass die mit der wirtschaftlichen Krise zusammenhängenden Reaktionen nicht auch gesellschaftliche Veränderungen bewirken können. Jedoch existiert, soweit bekannt ist, keine ausreichend starke gesellschaftlichen Kräfte, welche diese Impulse aufgreifen und einen Prozess der „Transformation von unten“ einleiten könnte. Nichtsdestotrotz haben in den vergangenen Jahren durchaus auch wahrnehmbare Verschiebungen im sozialen Gefüge der nordkoreanischen Gesellschaft stattgefunden. Rüdiger Frank spricht in diesem Zusammenhang gar von einer „neuen Mittelschicht“, die in Nordkorea entstanden sei.

Reformschritte unter Kim Jong Il und Kim Jong Un: ein Überblick

Die ersten ökonomischen Umgestaltungsmaßnahmen wurden im Zuge der Hungersnot um 1995-1997 sichtbar. Der zuvor stark reglementierte Reiseverkehr innerhalb Nordkoreas wurde erleichtert und es kam insbesondere auch zu offenbar massiver Arbeitsmigration nach China über die nur leicht bewachte Grenze (Frank 2005). Um die Versorgungslage angesichts des quasi kollabierten staatlichen Verteilungssystems zu verbessern, wurden ferner die Bauernmärkte quasi legalisiert und der Verkauf von Waren auf dem Markt (vorerst) geduldet, was zur Herausbildung neuer Lieferketten zwischen den Provinzen wie auch einen inoffiziellen Handel zwischen Nordkorea und China zur Folge hatten (Frank 2005).

Am 1. Juli 2002 setzte Nordkorea dann ein bis dato beispielloses Paket „wirtschaftlicher Anpassungsmaßnahmen“ um. Dieses zeichnete sich zum einen durch eine umfassende Lohnreform und eine Reform sowohl der Erzeuger- als auch der Verbraucherpreise aus, die nach Rüdiger Frank (2005) vor allem zwei Ziele verfolgten: Preisanpassung zwischen dem offiziellen und inoffiziellen Markt und Anreize zur Produktion schaffen. Parallel zu diesen Maßnahmen wurde den Fabriken, Unternehmen und den landwirtschaftlichen Kollektiven eine größere, wenn auch immer noch begrenzte, Autonomie in ihren (unternehmerischen) Entscheidungen übertragen. Bestimmte, vormals ausschließlich staatlich getroffene Entscheidungen wurden auf die jeweiligen zuständigen lokalen und regionalen Geschäftsführer oder Verantwortlichen übertragen.

Neben einer umfassenden Preis- und Lohnreform zeichnete sich dieses Maßnahmenpaket insbesondere auch durch die Fokussierung einer Sonderwirtschaftszonen-Politik aus, die offenbar als kontrollierbare Öffnung für den notwendigen Außenhandel betrachtet werden. Über ihre Lage in isolier- und somit kontrollierbaren Grenzgegenden sollen die Risiken einer unkontrollierten Ausbreitung marktwirtschaftlicher Elemente minimiert werden und gleichzeitig dringend benötigtes Kapital beschafft werden. Insgesamt lässt sich im Kontext der Änderungen in der eigenen Wirtschaftspolitik eine zunehmend offensivere Politik zum Handel mit dem Ausland feststellen. So schuf Nordkorea eine zunehmend dichter werdende rechtliche Basis für wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern in Nordkorea, bspw. in Gestalt von Joint-Venture sowie Foreign Investment Laws. Auch die Notwendigkeit von Außenhandel zur Überwindung der wirtschaftlichen Krise lässt sich zweifelsohne attestieren. So wurde etwa nach dem Amtsantritt im Dae-jungs auch die Kooperation mit Südkorea dramatisch ausgeweitet. Ein erster Schritt in diesem Zusammenhang wurde 1998 mit der Etablierung und sukzessiven Weiterentwicklung des Tourismusprojekts Mt. Kŭmgang unternommen. Darüber hinaus beschlossen Nord- und Südkorea während des ersten innerkoreanischen Gipfeltreffens im Juni 2000 die Schaffung der Sonderwirtschaftszone Kaesŏng. 2004 eröffnet, arbeiteten nur fünf Jahre später ca. 42.000 nordkoreanische Arbeitskräfte in 117 angesiedelten südkoreanischen Unternehmen, die ihrerseits durch ca. 1.000 Südkoreaner vertreten waren. Die Strategie der Forcierung von SWZ wird insbesondere auch unter der Regierung Kim Jong Un weiter vorangetrieben. So sind unter Kim Jong Un zu den zuvor vier bestehenden SWZ 19 weitere hinzugekommen. Darüber hinaus scheint Kim Jong Un, der sich die spürbare Verbesserung der Lebensverhältnisse der nordkoreanischen Bevölkerung zum Ziel gesetzt hat, insbesondere den Tourismus als potentielle Geldquelle identifiziert zu haben. So hat in den vergangenen Jahren der Tourismus nach Nordkorea nicht nur aus China mitunter dramatisch zugenommen.

Diese und zahlreiche weitere Maßnahmen veränderten die wirtschaftliche Ordnung des Landes nachhaltig und die Wirtschaft Nordkoreas wuchs zwischen 2002 und 2005 beträchtlich. Gleichzeitig existieren jedoch noch immer eine Reihe von Reformbarrieren, die sich sowohl innerhalb des politischen Regimes in Nordkorea wie auch im Bereich der Außenpolitik des Landes verorten lassen.

Reformbarrieren

Wie gezeigt wurden in der Amtsperiode von Kim Jong Il sowie von Kim Jong Un eine Reihe von wirtschaftlichen Maßnahmen umgesetzt, die durchaus als (kontrollierte) und von staatlicher Seite induzierter Reformschritte zu bewerten sind. Aus dem Primat des Politischen ergaben sich jedoch auch immer wieder Rückschläge bzw. Blockaden des Reformprozesses. Beispiele bilden etwa die partiellen Versuche der Regierung zur Zurückdrängung der Märkte Mitte der 2000er Jahre, die Währungsreform von 2009, im Zuge derer neue Banknoten ausgegeben wurden, um größere Bestände an Bargeld aufzudecken bzw. zu enteignen, sowie Versuchen der Wiedereinführung der staatlichen Distribution. Auch lässt sich immer wieder der Rückgriff auf altbekannte Maßnahmen zur Mobilisierung des Produktionsfaktors Arbeit durch spezifische Mobilisierungskampagnen wie etwa die 2008 wiederbelebte Ch’ŏllima-Bewegung beobachten. Besonders hemmend für vertiefende Reformmaßnahmen wirkten sich jedoch wiederholte (außen-)politische Spannungen auf die Reformbestrebungen Nordkoreas aus. So führten etwa die politischen Spannungen auf der koreanischen Halbinsel nach der Erschießung einer südkoreanischen Touristen in der SWZ Kŭmgangsan 2008 sowie die Versenkung der südkoreanischen Korvette Ch’ŏnan und der Beschuss der Insel Yŏnpyŏng 2010 zu einem weitestgehenden Zusammenbruch des innerkoreanischen Handels. Darüber hinaus führten insbesondere auch die politischen Spannungen um das nordkoreanische Nuklearprogramm sowie den Nordkorea vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen wiederholt zu zusätzlichen Sanktionen. Besonders als nach dem 11. September 2001, als Nordkorea im Ziege des „Krieges gegen den Terror“ vom damaligen US-Präsident George W. Bush als Mitglied der „Achse des Bösen“ klassifiziert wurde, stieg Nordkoreas Bedrohungsperzeption ebenso massiv an wie die Bereitschaft zu Reformen abnahm. Die Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik waren unmittelbar, nicht zuletzt da wirtschaftliche Sanktionen gegen die DVRK erheblich ausgeweitet und verschärft wurden.

Zunächst gilt es zusammenfassend festzuhalten, dass die Wirtschaft Nordkoreas, wie andere gesellschaftliche und politische Bereiche, einem steten Wandel unterlegen sind. Wie Rüdiger Frank (2005) zutreffend anmerkt, ist dies nicht zuletzt auch deshalb unvermeidlich, da sich auch das politische, wirtschaftliche und soziale Umfeld Nordkoreas in den vergangenen Dekaden z.T. massiv veränderte, wodurch selbst unter den Vorzeichen innerer Konstanz die Beziehungen Nordkoreas mit seiner Umwelt automatisch eine Modifikation erfahren haben. Das Bild vom starren, unbeweglichen Nordkorea greift daher per se zu kurz. Angesichts der zahlreichen wirtschaftlichen Veränderungen in Nordkorea ist es nur schwer vorstellbar, dass eine vollständige Rückkehr zum starren planwirtschaftlichen System gelingen wird. Gleichwohl sind alle bis dato durchgeführten Wandlungsprozesse staatlich initiiert und die Veränderungen im wirtschaftlichen Denken der Bevölkerung nur schwer messbar. Sichtbare Veränderungen hingegen sind nicht zu leugnen. Ebenfalls existiert ein durchaus beachtliches Potential für wirtschaftliche Verbesserungen, sowohl was die grundsätzlichen internen Möglichkeiten wie auch die regionale Lage angeht. Gleichwohl werden tiefgreifend Wandlungsprozesse aufgrund des Primat des Politischen – und der noch immer schwierigen politischen Lage auf der koreanischen Halbinsel – zumindest kurzfristig nicht zu erwarten sein.

1 Vgl. ausführlich zu den Massenmobilisierungsbewegungen: Frank, Rüdiger (2005): 239 f.

Armstrong, Charles K. (2003): The North Korean Revolution. 1945-1950, Cornell University Press, Ithaca

Cho, Lee-jay und Yoon-hyung Kim (1995): Economic Systems in South and North Korea: The Agenda for Economic Integration, Korea Development Institute

Chun Hong Tack and Park Jin (1997): North Korean Economy: A Historical Assessment, in: Cha Dong-Se, Kim Kwang Suk and Dwight H. Perkins (Hrsg.): The Korean Economy 1945–1995: Performance and Vision for the 21st Century, Korea Development Institute, Seoul, S.665–730

Frank, Rüdiger (2005): Nordkoreas Wirtschaft, in: Kern, Thomas und Patrick Köllner (Hrsg.): Südkorea und Nordkorea – Einführung in Geschichte, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Campus Verlag, Frankfurt/Main, 216-

Goydke, Tim (2003): Ein japanischer Marschall-Plan für Nordkorea?, in Japan Aktuell – Journal of Current Japanese Affairs, Vol. 11, No. 3, S. 241-253

Kasakos, Panos (1970): Entwicklungstendenzen und Planungsstrategie in Nordkorea, in: GMH, No. 21, Vol. II, S. 660-670, online verfügbar unter: http://library.fes.de/gmh/main/pdf-files/gmh/1970/1970-11-a-660.pdf

Koo Bon-hak (1992): Political Economy of Self-Reliance: Chuch’e and Economic Development of North Korea, 1961-1990, Research Center for Peace and Unification of Korea, Seoul

Michell, Anthony R. (1998): The Current North Korean Economy, in: Noland, Marcus (Hrsg.): Economic Integration of the Korean Peninsula, Washington, Institute for International Economics.

Niwa, Haruki und Fujio Goto (1989): Estimates of the North Korean Gross Domestic Product Axcount 1956-1959, in: Asian Economic Journal, Vol. 3, No. 1, S. 133-169

Noland, Marcus (2000): Avoiding the Apocalypse. The Future of the two Koreas, Institute for International Economics, Washington, S. 15-48 & S. 195-250

AKS
IKSLogo_Neu2