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Kolonialistische Geschichtsschreibung

"Dokuritsu-mon. The Vestiges of the Old Time are still remained at Keijo" – Dokuritsu-mon ist die japanische Bezeichnung für das Unabhängigkeitstor (kor. tongnip-mun) in Seoul, dessen Name zur Zeit der japanischen Kolonialherrschaft 'Keijo' lautete.

"Dokuritsu-mon. The Vestiges of the Old Time are still remained at Keijo" – Dokuritsu-mon ist die japanische Bezeichnung für das Unabhängigkeitstor (kor. tongnip-mun) in Seoul, dessen Name zur Zeit der japanischen Kolonialherrschaft 'Keijo' lautete.

„Die koreanische Geschichte ist von Stagnation geprägt und kennt keinen Fortschritt. Das koreanische Volk hat keine Kraft zur Selbstständigkeit und ist daher seit jeher immer von anderen beherrscht worden.“

Karikatur zur Situation Koreas zwischen den Großmächten Japan, Russland und China gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Von Georges Bigot (1887) in Tôbaé

Karikatur zur Situation Koreas zwischen den Großmächten Japan, Russland und China gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Von Georges Bigot (1887) in Tôbaé
Bildquelle: "Chǒngdanghwadoen sikminji, Chosǒn", Han'guk Munwhasa, 13.06.2017.

So ähnlich lauteten die Vorstellungen japanischer Historiker über die koreanische Geschichte zum Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. In dieser Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs war Japan zu einer regionalen Großmacht aufgestiegen, die begonnen mit dem Protektoratsvertrag mit Chosǒn 1905 in Ost- und Südostasien expandierte . Die Kolonialisierung Koreas wurde unter anderem versucht durch eine Geschichtsschreibung zu legitimieren, die frühere koreanische Dynastien, besonders Chosǒn, das 500 Jahre bestanden hatte, als schwach und rückständig darstellte. Die Kernthesen dieser kolonialistischen Geschichtsschreibung (sikmin sagwan) waren Annahmen, die letztendlich den Zerfall dieser erklären sollten.

  1. Korea sei ein stagnierendes Land, indem weder Fortschritt noch Moderne herrsche (ch’ǒngch’esǒngron). Diese These wurde bereits von Georg Wilhelm Friedrich Hegel im 19. Jahrhundert aufgestellt, der erklärt hatte, dass China, zu dessen Kulturkreis nach Auffassung der Europäer auch Japan und Korea gehörten, sich seit dem Altertum nicht weiterentwickelt hatte. Der japanische Wirtschaftswissenschaftler Fukuda Tokuzō legitimierte später damit den japanischen Herrschaftsanspruch auf die koreanische Halbinsel. Im Gegensatz zu China und Korea hatte Japan den Sprung in die Moderne geschafft und sollte deshalb eine Vorreiterrolle in Ostasien übernehmen. Die Aufgabe Japans musste es sein, seine Nachbarn, insbesondere Korea, aus der Stagnation herauszuführen und zu einem modernen Land zu formen.
  2. Korea habe keine Kraft zur Unabhängigkeit (t’ayulsǒngron). Neben der Unfähigkeit der Koreaner zur Modernisierung ihres Landes wurden ihnen außerdem ihre Unabhängigkeit abgesprochen. Die historische Abhängigkeit von China in Form der Sadae-Beziehungen (siehe dazu das Kapitel Sadae), Invasionen der Mongolen, Mandschuren und Japans bewiesen die Schwäche gegenüber ausländischen Ländern in den Augen der japanischen Historiker.
  3. Fraktionalismus als Wesen des koreanisches Volks (tangp’asǒngron). Erschwerend kamen für die anhaltende Konflikte in der koreanischen Politik in Form von Fraktionskämpfen seit dem 16. Jahrhundert hinzu. Durch diese Machtkämpfe waren die Gelehrten so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass dem Verfall Chosǒn kein Einhalt geboten werden konnte und der Untergang der Dynastie praktisch schon unwiderruflich feststand.
  4. Das koreanische Volk würde seit jeher von anderen Ländern beherrscht (ilsǒntongjoron). Ende des 19. Jahrhunderts kamen aus Europa sozialdarwinistische Ideen nach Ostasien. In Japan wurde daraus die Theorie des gemeinsamen Ursprungs der Japaner und Koreaner abgeleitet, wobei die Japaner eine Art großer Bruder für die Koreaner waren. Die Überlegenheit trotz des gemeinsamen ethnischen Ursprungs wurde durch die rasche Modernisierung Japans im Vergleich zu seinen ostasiatischen Nachbarn begründet und sollte die Kolonialisierung Koreas legitimieren.

Diese Annahmen wurden versucht durch einen positivistischen Ansatz zu beweisen, ein Vorgehen in der Geschichtswissenschaft, die vornehmlich auf Fakten basiert ohne diese im historischen Kontext zu interpretieren. Basierend auf Thesen des deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der Ostasien und vor allem China als rückständige Gesellschaften betrachtete. In Europa entstand zu dieser Zeit eine sehr orientalistische, eurozentrische Sichtweise auf die Welt, die das Asienbild nachdrücklich prägte.

Das Bild eines rückständigen Asiens im Vergleich zu Europa, das ebenfalls in der Modernisierungstheorie eine zentrale Rolle spielt, bekam im 19. Jahrhundert durch sozialdarwinistische und aufkommende nationalistische Tendenzen weiter Aufwind und wurde durch japanische Wissenschaftler, die in Europa studiert hatten -wie z.B. Fukuda Tokuzō- auch in Asien verbreitet und verinnerlicht.

Karikatur zum Streit um die koreanische Geschichte

Karikatur zum Streit um die koreanische Geschichte
Bildquelle: Ohmynews, Kim Yongtaek, 26.05.2013, Zugriff 13.06.2017.

Wie oben bereits ausgeführt, basierte die kolonialistische Geschichtsschreibung der Japaner, die zunehmend auch von koreanischen Gelehrten rezipiert wurde, zu großen Teilen auf einer orientalistischen Einstellung und Modernisierungstheorien. Während die Japaner diese Vorstellungen nutzten, um ihre Expansionsansprüche in Asien zu legitimieren, fand die kolonialistische Geschichtsschreibung allerdings auch in Korea Verbreitung. Autoren wie Yi Kwang-su übernahmen eine Sichtweise auf die koreanische Geschichte, die von einem vorbestimmten Untergang der Chosǒn-Dynastie ausging und den Koreanern einen defizitären Volkscharakter wie Fraktionalismus unterstellte.

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