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Die Chosŏn-Dynastie

27.06.2017

Die Inthronisierung Isŏnggyes zum ersten König der Chosŏn-Dynastie (König Taejo, r. 1392-1398) erfolgte im Wege einer Revolte, für welche sich Isŏnggye und weitere hochrangige Generäle und Militärbeamte, also mugwan, mit einer Gruppe von mun'gwan zusammengetan hatten, die als sinhŭngsadaebu bezeichnet wurden.

Der Begriff sinhŭngsadaebu erklärt sich dabei wie folgt: „Sadaebu“war zur Zeit der Koryŏ-Dynastie ursprünglich eine alternative Bezeichnung für die mun'gwan, die ihren Ursprung im Sprachgebrauch des chinesischen Verwaltungssystems hatte. Später wurde sie jedoch auch auf die mugwan angewendet, so dass sie sich letztlich nur noch wenig von der Bezeichnung „yangban“unterschied. Diejenigen sadaebu, die Isŏnggye bei seiner Revolte unterstützten, waren solche, die keinen etablierten Adelsfamilien entstammten und erst vor nicht allzu langer Zeit die Staatsprüfungen bestanden hatten. Sie waren daher sinhŭngsadaebu (sinhŭng „neu auftretend“). Insofern sie Isŏnggye bei der Gründung des Staates Chosŏn unterstützten,  waren sie ferner zugleich chosŏn kaegukkongsin.

Diese sinhŭngsadaebu, und zugleich chosŏn kaegukkongsin, die insgesamt 52 Personen ausmachten,  wurden nach erfolgreicher Revolte förmlich als solche registriert. Für diese Registrierung wurde sogar eigens ein provisorisches Amt errichtet, das kongsindokam. Diese Gruppe der sinhŭngsadaebu verfestigte sich im Laufe der Zeit – wiederum durch gezielte Verheiratungen und ähnliche Strategien – zu einer als hun’gu bezeichneten Gruppierung.

Der Gruppe der sinhŭngsadaebu entgegenzusetzen sind diejenigen sadaebu, die sich, auf der geistigen Grundlage der zum Ende der Koryŏ-Zeit aus China eingeführten und rezipierten neo-konfuzianischen Lehre (auf Koreanisch sŏngnihak) gegen Isŏnggyes Revolte gestellt hatten und den Weg in die Provinz suchten. Dort wurden sie zu den sogenannten chaejisajok, den auf dem Land ansässigen Gelehrtenfamilien mit yangban-Status.

Diese chaejisajok sind für die Frage der Herrschaftsstrukturen und gesellschaftlichen Schichten in der koreanischen Geschichte in zweierlei Hinsicht von Bedeutung. Zum einen etablierten sie sich als herrschende Klasse in der Dorfgemeinschaft. Zum anderen sollten einige unter ihren Nachfahren ab der Mitte des 15. Jahrhunderts wieder ins Zentrum zurückkehren und dort als sogenannte sarim politische Machtkämpfe mit den hun’gu, den Nachfahren derjenigen, die Isŏnggyes Revolte unterstützt hatten, austragen (hierzu weiter unten).

In der Dorfgemeinschaft zeichneten sich die chaejisajok nicht nur durch ihren Status als yangban, sondern auch durch ihren Grundbesitz aus. Auch beriefen sie sich auf den Neo-Konfuzianismus als geistige Grundlage ihrer Macht, indem sie sich gegenüber der Dorfbevölkerung auf eine moralische Vorbildfunktion beriefen. Die chaejisajok  propagierten und beaufsichtigten die Einhaltung konfuzianistischer Regelwerke und Leitlinien, einschließlich derjenigen zur Durchführung der Ahnenrituale, und verwalteten das Dorfleben durch eine Reihe verschiedener mit ihnen besetzter Komitees.

Im Ergebnis kann von einer von den chaejisajok geleiteten Selbstverwaltung auf lokaler Ebene gesprochen werden, während die Verwaltung im Zentrum – bis 1567 von den hun’gu geleitet – ihrerseits darum bemüht war, auch die Provinzen ihrer Kontrolle zu unterstellen. Eine solche zentrale Steuerung der Peripherie versuchte sie im Wege der Entsendung von Beamten oder zumindest über den Einsatz von strukturell der Zentralverwaltung unterstellten örtlichen hyangni-Beamten. Es kam also zu einer Konkurrenz zwischen lokaler Selbstverwaltung und zentral gesteuerter Verwaltung.

In der Zeit nach den japanischen Invasionen (Imjinwaeran, 1592-1598), wie auch in derjenigen nach der Invasion der Qing (Pyŏngjahoran, 1636), wuchs der Einfluss der chaejisajok jeweils noch zusätzlich. Schließlich waren sie es gewesen, die zur Unterstützung der Regierungstruppen im Kampf gegen die Invasoren die als ŭibyŏng bezeichneten Bauernarmeen (wörtlich in etwa: „Armee der Rechtschaffenen“) angeführt hatten. Sie konnten in dieser Führungsrolle einen Legitimitätszuwachs im Verhältnis zur lokalen Bevölkerung verzeichnen.

Wie es zuvor auch bereits für die yangban-Familien im Zentrum der Fall gewesen war, zeigte sich auch bei den chaejisajok – kurz auch sajok– im Laufe der Geschichte eine zunehmende Formalisierung der Voraussetzungen für ihren Status und ein beständiger Ausbau ihrer Vorherrschaft.

So wurde es erforderlich, dass sajok-Familien, wenn sie ihren Status behalten wollten, stetig  erfolgreiche Absolventen bestimmter Staatsprüfungen hervorbrachten. Auch mussten sie Mitglieder in als sŏwŏn bekannten konfuzianischen Akademien sein. Letztere Bedingung führte zu vielen familiengeführten sŏwŏn. Auch wurde die Rolle der sajok in den Dorfgesellschaften im Laufe der Zeit zunehmend formalisiert. So gab es Verzeichnisse, die sämtliche sajok eines Dorfes, hyang, auflisteten (die hyangan) und entstanden mit sajok besetzte Dorfparlamente (hyanghoe).

Gleich den yangban im Zentrum bildeten auch die sajok ein dichtes internes Netz durch eine konsequente Strategie der Eheschließungen unter ihresgleichen. Zusätzlich verfestigt wurde dieses Netz durch Schüler-Lehrer-Beziehungen, die verschiedene sajok-Familien miteinander verbanden.

Wie obenstehend bereits kurz angedeutet sollte einigen Nachfahren der chaejisajok etwa ab der Mitte des 15. Jahrhunderts eine gewichtige Rolle zukommen. Genauer handelte es sich um solche, die wieder den Weg ins Zentrum suchten. Als  sinjinsaryu, also „neu aufkommende Gelehrte“, formierten sie sich zu einer neuen politischen Kraft, die kollektiv auch als sarimp'a bezeichnet wurde (Fraktion der sarim). In der Folge lieferten sich die sarim teils blutige Auseinandersetzungen mit der im Zentrum bereits etablierten Fraktion der hun’gu. Diese Konflikte sollten erst im Jahr 1623, als sich eine Gruppierung in der Tradition der sŏin, die ihrerseits aus Spaltungen in der Gruppe der sarim hervorgegangen waren, als dominante Gruppierung für den weiteren Verlauf der politischen Geschichte Chosŏns durchsetzen konnte.

Durch ihre beständige Strategie der Eheschließungen nicht nur unter ihresgleichen, sondern auch mit Familien der jeweils anderen Elitengruppierung, hatten sich die herrschenden yangban-Familien im Zentrum wie auch diejenigen in der Peripherie bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts schließlich zu einer aufs Engste verbundenen Herrschaftsgemeinschaft entwickelt. Die Bezeichnung yangban wurde nun, ohne direkte Bezugnahme auf das Verwaltungssystem, schlicht für „die herrschende Klasse“, oder „die Oberschicht“, verwendet. Für die beherrschte Klasse wurde nun zwischen sangmin (Händlern), chungin (wörtlich „die in der Mitte“), und nobi unterschieden. Alschungin angesehen wurden dabei die hyangni, die ebenfalls bereits erwähnten sŏŏl und solche Beamte, die eher technischen Aufgaben nachgingen, wie beispielsweise Dolmetscher.

Zur zusätzlichen Festigung der Verbindungen innerhalb der Klasse der yangban wurde das Konzept des erweiterten Familienverbandes stetig weiter präzisiert. So entwickelten sich Clan-Regeln (chongbŏp), in denen u.a. festgeschrieben wurde, für welche Vorfahren durch wen innerhalb des Clans welche Ahnenrituale abgehalten werden mussten. Die Vorstellung der Herkunftsfamilie, die sich noch bis Mitte der Chosŏn-Dynastie auf die Vorstellung eines Stammbaums von vier Generationen bezogen hatte, der auch die mütterliche Linie umfasste, wurde nun dahingehend konkretisiert, dass die Herkunftsfamilie als eine durch Blutsbande insbesondere entlang der patriarchalischen Familienlinie verbundene Einheit gedacht wurde. Die Ahnenriten wurden auf bis zu fünf zurückliegende Generationen ausgeweitet.

Angesichts der wachsenden Bedeutung der yangban als herrschender Klasse bemühten sich ab dem 17. Jahrhundert die Familien anderer gesellschaftlicher Schichten, sich, wenn nur irgend möglich, ebenfalls als yangban zu präsentieren. Eine zentrale Rolle kam hier dem Führen eines chokpo zu.  Im 17. Jahrhundert weitete sich entsprechend auch die Praxis des Verfassens – und oft Fälschens - von Familienstammbüchern beträchtlich aus.

Im familieneigenen chokpo auf ruhmreiche Vorfahren zu verweisen und sich somit als yangban-Familie darzustellen zu können war dabei von unmittelbarer politischer und gesellschaftlicher Relevanz für die – ggf. nur vermeintlichen –  Nachfahren. So war man als yangban u.a. vom Militärdienst ausgenommen, wie auch von der Pflicht der Steuerentrichtung entbunden.

Natürlich waren die Verfasser der chokpo dabei bemüht, eine möglichst ruhmreiche Familiengeschichte niederzuschreiben. So beanspruchten einige Familien Ahnväter aus der Zeit des frühen Koryŏ. Andere gingen noch weiter und verwiesen auf aus China übergesiedelte Gelehrte als ihre Ahnväter. Umgekehrt mussten sich Personen, die keine Nachfahren hatten, welche sich in einem chokpo auf sie als Ahnväter hätten berufen würden, sorgen, dass es ihnen nicht gelingen würde, sich „in die Geschichte einzuschreiben“ und dadurch in Vergessenheit zu geraten – unabhängig davon, wie groß ihr persönliches Verdienst auch gewesen sein mochte.

Um der eigenen Abstammung zusätzliches Gewicht zu verleihen, gingen einige Familien auch dazu über, ihre chokpo mit denen von Familien mit gleichlautendem Familiennamen zusammenzulegen und sich in der Folge nun auf einen gemeinsamen, übergeordneten Ahnvater zu berufen – bei dem es sich natürlich stets auch um eine ruhmreiche Persönlichkeit handelte. Durch dieses Zusammenlegen der chokpo vergrößerte sich auch der Bezugspunkt für die Vorstellung von „Familie“, die sich nun auf Familie im Sinne eines Familienclans (ssijok) bezog.

Dass das chokpo, welches zuvor noch exklusives Symbol für das Familienbewusstsein innerhalb der yangban-Schicht gewesen war, nun für weite Gesellschaftsschichten verfügbar wurde, mag als eine Form der Egalisierung verstanden werden. Das System des Fälschens von chokpo, wie es sich bis zum 18./19. Jahrhundert etabliert hatte, führte jedoch zu neuen Formen von Ungleichheit. Zum einen waren es nur nicht-yangban-Familien, die ein gewisses Vermögen angesammelt hatten, die es sich leisten konnten, einen Fälscher mit dem Erstellen ihres chokpo zu beauftragen. Zum anderen führte die Praxis der in Auftragsarbeit erstellten chokpo zu einer Anhäufung von Geld bei besagten Fälschern, die sich ihre Arbeit gut bezahlen ließen. 

AKS
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