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Johann von Soest

Johann von Soest

1.1. Name, Tätigkeiten und Positionen

Johann von Soest [Johannes (Steinwert) von Soest]

Hofsänger, Leiter der pfälz. Hofkapelle; Arzt, Dr. med.; Stadtarzt; Schriftsteller, Kunsttheoretiker; röm.-kath.; verh.

1.2. Geburts- und Todesjahr und -ort

* 1448 Unna

† 02. 05. 1506 Frankfurt/M.

1.3. Herkunft, Lebensbeschreibung, Konfession

Vater Rotcher Grummelkut war Steinmetz, 1451 gestorben, die Mutter Wendel Husselyn aus angesehener Werler Familie zog dann über mehrere Zwischenstationen mit ihm und ihrem 2. Mann nach Soest; mit neun Jahren nahmen ihn die Stiftsherren in ihre Chorschule am St. Patroklusstift von Soest (1457); um 1460 zog ihn Hz. Johann I. v. Cleve gegen den energischen Widerstand seiner Mutter in seine Hofkapelle; in der Kapelle Johanns I. von Kleve zum Sänger und Komponisten ausgebildet; nach dem Besuch zweier engl. Sänger am Klever Hof, die ihn durch ihr Können sehr beeindruckten, verließ er im Bruch mit dem Hz. den Hof und folgte ihnen nach Burgund, bei ihnen in Brügge weitere Gesangsausbildung; in der Folgezeit wirkte er als Sänger in Hardenbergh/Overijssel und als Succentor an der Frauenkirche in Maastricht; von da brach er auf, um in Rom an der päpstl. Kurienkapelle um Aufnahme zu bitten; wohl 1469 endete dieser Weg in Köln, wo er dem Propst von St. Gereon und nachmaligen Kölner Ebf. Hermann v. Hessen begegnete, mit dessen Empfehlung er eine Anstellung am Hof seines Bruders, des hess. Lgf. Ludwig, in Kassel erhielt, wo er bis zu dessen Tod 1471 blieb; ab 1472 Stellung als Leiter der Hofkapelle auf Lebenszeit beim Pfalzgrafen Friedrich I. (1449-76) in Heidelberg; hier zählte er mit seinen Kenntnissen zu den bedeutendsten zeitgenöss. Künstlern, gestaltete als Sängermeister versch. Hochzeiten süddt. Fürstenfamilien mit, schuf eigene Kompositionen und bildete einen Kreis namhafter Musikschüler aus; unter Friedrichs I. Nachfolger Kf. Philipp dem Aufrichtigen (1476-1508) behielt er seine Stellung, entfremdete sich dem Hof aber aus wohl versch. Gründen; seit 1476 Medizinstudium in Heidelberg, Promotion in Pavia oder Heidelberg, Vorlesungen dort und in Heidelberg; Streitigkeiten mit Sängern der Hofkapelle brachten ihn offenbar einmal ins Gefängnis (um 1490) und trübten sein Verhältnis zum Kf.; 1491 bemühte er sich mit kfürstl. Unterstützung erfolglos um die Stelle des Stadtarztes in Frankfurt/M.; nach Zerwürfnissen mit dem pfälz. Hofmarschall Hans v. Dratt verließ er 1495 gegen den Willen des Kf. den Hof und wurde mit Hilfe des Kf. Stadtarzt in Worms, wechselte 1499 nach Oppenheim und übersiedelte 1500 nach Frankfurt/M., hier zunächst private Praxis, ab Herbst 1500 Stadtarzt; als solcher hatte er auch die Aufsicht über das Apothekenwesen der Stadt; 1503 leistete er den Bürgereid; zweimal in Heidelberg verheiratet, insgesamt 9 Kinder, aus 1. Ehe 6 Kinder, von denen nur 1 Sohn überlebte, 1493 Tod der 1. Frau, 2. Ehe 1494 mit Margarethe Hecht, in dieser Ehe 3 Kinder, von denen die beiden Töchter aber noch als Kleinkinder starben; besaß mit seiner (2.) Frau zusammen ein Haus in Heidelberg, das sie 1503 verkauften, aus dem Erlös erwarben sie in Frankfurt ein anderes; Literat und Kunsttheoretiker, verfasste: einen Versroman (Die Kinder von Limburg), ein Beichtbuch, eine musiktheoret. Abhandlung, einen (fragm.) Fürstenspiegel (lat.), eine Abh. über die Forderungen und Bedingungen einer Stadt als ideales Gemeinwesen („Wie men wol eyn statt regyrn sol“), ein Lobgedicht auf Frankfurt/M., eine Abh. über die erbsündenfreie Empfängnis Marias, eine Erklärung der Evangelienperikopen − z. T. für Kf. Philipp, z. T. für die Städte (Worms, Frankfurt/M.), in denen er Anstellungen gefunden hatte, z. T. parteilich im Streit zw. Franziskanern (pro) und Dominikanern (contra) über Mariä Empfängnis (lit.-theol. Fehde, ausgelöst von einer Schrift des Joh. Trithemius über die Hl. Anna, auf deren These der unbefleckten Empfängnis Marias der Frankfurter Dominikaner Wigand Wirt polemisch reagierte, s. Trithemius; JvS verfasste diese Schrift mit der Bitte an Kf. Philipp, ihn wieder in seine Gunst aufzunehmen; Kf. Philipp vertrat die Position der Dominikaner bzw. verbot eine von den Franziskanern vorbereitete Disputation in Frankfurt/M.)

1.4. Literatur zur Person

ADB 34 (1892) 540f. (R. Jung); NDB 10 (1974) 568 (Rainer Rudolf SDS); VL2 4 (1983) 744-755 (Gesa Bonath); Musik in Geschichte und Gegenwart 12 (1965) 824f. (Gerhard Pietzsch) (Lit.); Friedrich Pfaff, Johannes von Soest. Sänger, Dichter und Arzt 1448-1506. In: Allgemeine Konservative Monatsschrift 44 (1887) 147-156. 247-255; Walter Karl Zülch, Johannes Steinwert von Soest, der Sänger und Arzt (1448-1506). Frankfurt, M. 1920; Wilhelm Wirth, Johannes von Soest. Sängermeister in Heidelberg und Bearbeiter des Romans ,Die Kinder von Limburg‘. Diss. Heidelberg 1928; Gerhard Pietzsch, Quellen und Forschungen zur Geschichte der Musik am kurpfälzischen Hof zu Heidelberg bis 1622. (= Abh. d. Akad. d. Wiss., Geistes- u. Sozialwiss. Kl./Akademie der Wissenschaften und Literatur; Jg. 1963, Nr. 6). Mainz 1963, 583-768 (zu JvS 621. 650f. 678-682); Helmut Birkhan, Die Entstehung des Limburg-Romanes des Johannes von Soest und seine Aktualität. In: Rudolf Schützeichel (Hg.), Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters. FS Gerhart Lohse. 1979, 666-686; Heinz Dieter Heimann, Stadtbürgerliches Selbstverständnis und Reformmentalität des Heidelberger Hofkapellmeisters und Frankfurter Stadtarztes Johann von Soest genannt Steinwert. Ein Diskussionsbeispiel kultureller Leistung abgewanderter Westfalen. In: Westfäl. Zs 135 (1985) 239-262; [ders. (Hg.),] Wie men wol eyn statt regyrn sol. Didaktische Literatur und berufliche Schreiben des Johann von Soest, gen. Steinwert. (= Soester Beiträge 48). In Auswahl und Erläuterung v. Heinz-Dieter Heimann. Soest 1986; Jürgen Schläder, Johann von Soest, Sängermeister und Komponist. In: Heinz-Dieter Heimann (Hg.), Von Soest − Aus Westfalen. Wege und Wirkung abgewanderter Westfalen im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Paderborn 1986, 25-43; Jan-Dirk Müller, Der siegreiche Fürst im Entwurf der Gelehrten. Zu den Anfängen eines höfischen Humanismus in Heidelberg. In: August Buck (Hg.), Höfischer Humanismus. (= Mitteilungen der Komm f Humanismusforschung der DFG 16). Weinheim 1989, 17-50; Horst Brunner, Johann von Soest, Willibald Pirckheimer − zwei Fallstudien. In: Walter Haug/Burghart Wachinger (Hgg.), Autorentypen. (= Fortuna vitrea 6). Tübingen 1991, 89-103; Meinolf Schumacher, Ein ,Geistliches Jahr‘ um 1500. Die Sonn- und Festtagsgedichte des Johann von Soest. In: Zeitschrift f dt Altertum und dt Lit 122,4 (1993) 425-452

2.1. Quelle: benutzte Edition

Johanns von Soest eigne Lebensbeschreibung. Hg. v. J. C. von Fichard. In: Frankfurtisches Archiv für ältere deutsche Literatur und Geschichte (hg. von J. C. von Fichard) 1 (1811), 84-139

2.2. Beschreibung der Edition, Bemerkungen

Edition der Handschrift des Verfassers; in der Autobiographie ist nach V. 1088 eine Lücke (Ausfall eines Berichtszeitraums von gut zwanzig Jahren)

2.3. Literatur zur Quelle bzw. Edition

J. C. von Fichard. In: Frankfurtisches Archiv für ältere deutsche Literatur und Geschichte 1 (1811) 75; de Boor/Newald IV,1 (1970) 62f.; Wenzel 2 (1980), 81-86 (Lit.); VL2 4 (1983) 753f. (u. a. 754: das geistl. Schema kollidiere mit den Fakten); Lorna Susan Bloom, German Secular Autobiography. A Study of Vernacular Texts from circa 1450 to 1650, Ph. D. thesis Univ. of Toronto 1983, 71-100; Markus Stock, Effekte des Authentischen? Selbstentwurf und Referenz in der Autobiographie Johanns von Soest (1504/05). In: Elizabeth Andersen/Manfred Eikelmann/Anne Simon (Hgg.), Texttyp und Textproduktion in der deutschen Literatur des Mittelalters. (= Trends in medieval philology 7). Berlin/New York 2005, 267-283

2.4. weitere Editionen; Auszüge, Übersetzungen

Auszug: Wenzel 2 (1980) 87-101 (nur das 2. Buch); Auszug: Heimann ed. (s.o. 1.4) 55-59 (u. d. Titel „Jugendspiegel“)

3.1. Abfassungszeit

1504/05 (nach der Geburt des Sohnes Solon 19. 12. 1504, V. 1678ff.)

3.2. AdressatInnen

angesprochen werden Kinder/Jugendliche allgemein, Bonath (s.o. 1.4.) 753 vermutet: eigene Kinder

3.3. Funktion der Quelle

Lehre für die Jugend/die Kinder am − schlechten − Beispiel des eigenen Lebens (Jugendzeit, bis V. 1088)

3.4. Medium (hsl.; gedr.); Überlieferung; Ort der Hs.

hsl. (die 1944 verbrannte Handschrift enthielt außerdem das Lobgedicht auf Frankfurt/M. und die Evangelienerklärung)

4.1. Berichtszeitraum

1448-1504 (die Jahre 1472-1493 wären in der Lücke nach V. 1088 enthalten gewesen)

4.2. Sprache

dt.

4.3. Form der Quelle

1693 Reimpaarverse (Reimpaarverse in sämtlichen deutschsprachigen Werken JvSs); Titel und Widmung nicht vorh.; gegliedert in 2 Bücher, das 1. Buch ist annähernd vollst. erhalten; Schluss des 1. Teils mit Gebet und allgemeiner Belehrung der Jugend, 1. Teil als confessio, dann im 2. Teil Umkehr (ob als plötzl. conversio oder als allmähl. Prozess, ist angesichts der Lücke nicht entscheidbar)

4.4. Inhalt

zwei Teile; bis V. 1088 confessio eines sündigen Lebens: Jugendgeschichte − Ausbildung zum Sänger, Sünden (Undankbarkeit gegen die Mutter, schlechte Gesellschaft, Hochmut aufgrund der eigenen Fähigkeiten); ab V. 1089 gottergebenes Leben (in der Lücke: Leben in Heidelberg bis zum Tod seiner 1. Frau 1493): Versuch, eine Pfarrstelle zu erhalten; dann Beschluss, durch Ergreifen der erstbesten sich bietenden weltlichen oder geistlichen Gelegenheit ein gottergebenes Leben zu führen; im Traum (und dann auch real) Heirat einer achtzehnjährigen Frau; Streit mit Schwiegervater um Erbteil der Ehefrau; Weggang vom Hof, Stadtarzt in Worms, Oppenheim, Frankfurt/M. Am ausführlichsten beschrieben wird die Eheanbahnung. Der erste Teil ist eine Beschreibung von Stationen, die wieder verlassen werden − vielleicht markiert JvS sie deshalb als jeweils sündig?

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