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Geschichte der Iranistik an der FU (1970 bis heute)

Altes Schild des Instituts für Iranistik im Reichensteiner Weg (bis 2004)

Altes Schild des Instituts für Iranistik im Reichensteiner Weg (bis 2004)
Bildquelle: Claudius Naumann

Institut für Iranistik in der Schwendenerstr. 17 (2004-2015)

Institut für Iranistik in der Schwendenerstr. 17 (2004-2015)
Bildquelle: Michael Fahrig

Nach der Berufung Colpes trennte sich das Seminar für iranische Philologie auch räumlich von der Indologie, indem es 1970 ein eigenes Haus im Reichensteiner Weg 12–14 in Berlin-Dahlem bezog. Im Rahmen der Strukturreform der FU und der neuen Fachbereichsbildung 1970 wurde das Seminar dem Fachbereich "Philosophie und Sozialwissenschaften" zugeordnet und in den siebziger Jahren gemäß dem erweiterten Profil des Faches in "Institut für Iranistik" umbenannt. Im Zuge der Universitätsreform erhielt Farhad Sobhani 1972 aufgrund seiner Verdienste als Persischlektor und Fachmann für die Bahai-Religion eine Professur in der Iranistik. Neben den beiden Schwerpunkten in der iranischen Philologie und der Religionsgeschichte entstand somit ein neuiranistischer Bereich, der durch die Einstellungen von Richard Flower und Fakhrezzaman Schirazi (1970 und 1971) als wissenschaftliche Mitarbeiter um einen weiteren Schwerpunkt in der modernen persischen Literatur ergänzt werden konnte. 1978 wurde das Fach im Bereich kurdischer Studien ausgeweitet, für die zunächst Jemal Nebez, später ab 1984 Feryad Omar als Lektoren eingestellt wurden. Im Rahmen eines weiteren Schwerpunktes Rechtsgeschichte wurde 1979 Maria Macuch als wissenschaftliche Assistentin eingestellt.

Als die FU im WS 1974/75 ihren evangelisch-theologischen "Weltanschauungs-Lehrstuhl" um Studienmöglichkeiten nichtchristlicher Religionen erweiterte, ließ Carsten Colpe seine Stelle auf "Allgemeine Religionsgeschichte und Historische Theologie" umdefinieren und wechselte mit dem neugeschaffenen Fachgebiet "Religionsgeschichte" in das Seminar für Evangelische Theologie. 1980 teilte die FU den großen Fachbereich "Philosophie und Sozialwissenschaften" in zwei Fachbereiche, die beide den alten Namen beibehielten. Die Iranistik kam in den Fachbereich "Philosophie und Sozialwissenschaften II", dem die sog. "kleinen Fächer" des ursprünglichen großen Fachbereiches zugeordnet wurden (Ethnologie, Islamwissenschaft, Ostasienwissenschaften, Evangelische Theologie, Religionswissenschaft, Katholische Theologie, Judaistik, später auch Turkologie).

Der im Zuge dieser Umstellungen vakant gebliebene Lehrstuhl wurde entsprechend den neu entstandenen Bedürfnissen des Faches 1983 speziell für die Geschichte und Kultur Irans in islamischer Zeit ausgeschrieben. Bert Fragner aus Freiburg i.Br. erhielt 1985 den Ruf auf diese Professur, durch die das Fach seinen neuiranistischen Schwerpunkt ausbauen konnte. Wissenschaftliche Assistentin in diesem Bereich wurde 1986 Birgitt Hoffmann.

Fragners Forschungsschwerpunkte am Berliner Institut setzten zum einen die Arbeit der von Hans Robert Roemer vertretenen "historischen Schule" in Freiburg fort, die sich insbesondere der sog. inšā-Literatur, der persischen Diplomatik und Paläographie, annahm und mehrere Arbeiten über das persische Urkundenwesen hervorgebracht hat. Diesem Themenkomplex sind auch mehrere Arbeiten Fragners gewidmet (Persische Memoirenliteratur als Quelle zur neueren Geschichte Irans, Wiesbaden 1979; Repertorium persischer Herrscherurkunden. Publizierte Originalurkunden bis 1848, Freiburg 1980). Zum andern baute er einen neuen Schwerpunkt in der Mittelasienkunde auf, der verschiedene Aspekte der iranisch-islamischen Entwicklung in Transoxanien in der Neuzeit zum Gegenstand hatte (cf. "Sowjetmacht und Islam. Die Revolution von Buchara", in: Festschrift für Hans Robert Roemer, Wiesbaden/Beirut 1979, S. 146–166). Weitere Schwerpunkte seiner Arbeit waren der ökonomischen und sozialen Geschichte Irans, der Entwicklung Irans zum islamischen Gottesstaat und der Frage nach den Spezifika einer "iranischen" Identität gewidmet (u.a. "Social and Economic Affairs of Timurid and Safavid Iran", in Cambridge History of Iran 6, 1986, S. 491–567; "Von den Staatstheologen zum Theologenstaat: Religiöse Führung und historischer Wandel im schicitischen Persien", in WZKM 75, S. 73–98; "Historische Wurzeln neuzeitlicher Identität: zur Geschichte des politischen Begriffs 'Iran' im späten Mittelalter und in der Neuzeit", in Studia Semitica necnon Iranica, Wiesbaden 1989, 79-100). In einem von der DFG finanzierten Drittmittelprojekt wurde ab 1986 von Faramarz Behzad die Erstellung eines Deutsch-Persischen Wörterbuchs in Angriff genommen.

1989 nahm Fragner einen Ruf an den neugeschaffenen Lehrstuhl für Neuiranistik in Bamberg an. Der Fall der Mauer im Herbst desselben Jahres und die Zusammenführung der beiden deutschen Staaten 1990 eröffneten der Iranistik ganz neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Kollegen und Institutionen in Ost-Berlin. An der Humboldt Universität vertrat Manfred Lorenz zu diesem Zeitpunkt die Iranistik mit moderner Schwerpunktsetzung. An der Akademie der Wissenschaften der DDR arbeitete Werner Sundermann in der Turfan-Forschungsgruppe, die sich mit der Edition und Interpretation der zu Beginn des 20.Jhs. in Chinesisch-Turkestan gefundenen Quellen befaßte. Dieser sensationelle Fund, der zahlreiche mitteliranische Texte und Fragmente enthält, hat die Mitteliranistik im Verlauf des letzten Jahrhunderts geradezu revolutioniert und neue Sprachen zu Tage gebracht, von denen im 19.Jh. noch nichts bekannt war. Durch den Glücksfall der Maueröffnung konnten sowohl Manfred Lorenz, der vor allem für sein Persisch-Lehrbuch und seine Pašto-Grammatik sowie weitere wichtige Arbeiten im Bereich neuiranischer Sprachen bekannt ist, als auch Werner Sundermann, der vor allem durch seine herausragenden Arbeiten in der Turfan-Forschung zu den weltweit renommiertesten Iranisten gehört, in die Institutsarbeit eingebunden werden. Als einer der ersten Wissenschaftler aus den neuen Bundesländern wurde Sundermann 1992 zum Honorarprofessor an der FU ernannt und hielt seitdem regelmäßig bis zu seiner Entpflichtung im Jahre 2006 Lehrveranstaltungen am Institut für Iranistik ab. Auch Manfred Lorenz hat dankenswerterweise in den neunziger Jahren regelmäßig Lehrveranstaltungen am Institut abgehalten, bis der Fachbereich im Zuge der Einsparungen 2003 die Lehrauftragsgelder sperrte. Im Rahmen des "Wissenschaftler-Integrationsprogramms" (WIP) wurde Iris Colditz 1993 von der in "Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften" umbenannten Institution als wissenschaftliche Mitarbeiterin in das Institut für Iranistik übernommen. Mit Sundermann und Colditz konnte der seit dem Weggang Colpes vernachlässigte Manichäismus-Schwerpunkt am Institut wieder etabliert werden (s. z.B. Iris Colditz: Zur Sozialterminologie der iranischen Manichäer. Eine semantische Analyse im Vergleich zu den nichtmanichäischen iranischen Quellen. Wiesbaden 2000 [Iranica 5]).

Der freigewordene Lehrstuhl für Iranistik wurde 1995 mit Maria Macuch besetzt, nachdem sie 1991 eine Nachwuchsprofessur und 1994 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Iranistik an der Georg-August-Universität in Göttingen als Nachfolgerin von David Neil MacKenzie erhalten hatte. Zu diesem Zeitpunkt war bereits abzusehen, daß die Ausstattung des Berliner Instituts mit drei Professuren nach der Pensionierung von Sobhani und Gobrecht aufgrund der Sparmaßnahmen der Stadt wieder auf eine einzige Professur reduziert werden würde. Der Lehrstuhl wurde deshalb allgemein für Iranistik ausgeschrieben, die sowohl die traditionelle Beschäftigung mit iranischen Sprachen und Kulturen in vorislamischer Zeit als auch die Kultur und Geschichte der islamischen Periode umfaßt. Die unten zu beschreibenden Forschungsschwerpunkte des Instituts sind auch diesen beiden großen Kernbereichen der Iranistik zuzuordnen. Macuch vertritt in Lehre und Forschung beide Bereiche, wobei ihre Schwerpunkte in der Sprach- sowie in der Rechts- und Literaturgeschichte liegen. Zu ihren Publikationen im Rechtsschwerpunkt gehören Bearbeitungen von Quellen zur zoroastrisch-sasanidischen Rechtsgeschichte, ferner Arbeiten zur philologischen Erschließung der Rechtsterminologie und der besonderen juristischen Syntax sowie zur Rekonstruktion des iranisch-zoroastrischen Rechtssystems und dessen Einfluß auf die jüdische, nestorianisch-christliche und islamische Jurisprudenz. Arbeiten zum Literaturschwerpunkt sind im Bereich der klassischen persischen Literatur der Bildersprache und der Sufi-Dichtung gewidmet. Siehe dazu die vollständige Publikationsliste von M. Macuch.

Die wissenschaftliche Assistentenstelle wurde 1995 zuerst mit Monire Parsia-Parsi, dann 1999 mit Maryam Mameghanian-Prenzlow für Iran in islamischer Zeit besetzt. Für den Schwerpunkt Afghanistan mit moderner Ausrichtung war Michael Pohly 2000–2006 als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingestellt. Von 2005 bis 2011 war die wissenschaftliche Assistentenstelle mit Götz König besetzt. Im Rahmen von DFG-finanzierten Drittmittelprojekten waren ferner Dieter Weber (1999–2001 und wieder ab 2004), Alberto Cantera (2001–2003), David Buyaner (seit 2010), Miguel Ángel Andrés-Toledo (2010–2013), Iris Colditz (2012–2016) sowie Benjamin Jokisch (2012–2016) am Institut tätig (s.a. Projektarchiv).

Im Zuge der Bildung großer Fachbereiche 1999 kam die Iranistik in den neugebildeten Fachbereich "Geschichts- und Kulturwissenschaften". Zum SS 2004 zog das Institut nach drei Jahrzehnten im Reichensteiner Weg in das Haus Schwendenerstr. 17 in Berlin-Dahlem um. 2015 zog das Institut erneut um, nunmehr in den sog. 'Neubau für die Kleinen Fächer' in der Fabeckstr. 23–25. Gleichzeitig wurde die Institutsbibliothek aufgelöst und in die Campusbibliothek integriert.

Nach der Emeritierung von Maria Macuch 2015 erhielt 2016 Alberto Cantera den Ruf auf den Lehrstuhl für Iranistik. Ebenfalls 2016 wurden zwei PostDoc-Stellen mit Arash Zeini (2016-2020) und Shervin Farridnejad (2016-2022) besetzt.

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