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Chosŏn-Dynastie (Teil 4)

(1885-1910): Weg zur japanischen Kolonialisierung  

Seit der Öffnung des Landes 1876 kam es in der koreanischen Gesellschaft zu erheblicher Unruhe. Sie betraf insbesondere die Bauern, da das Hauptnahrungsmittel Reis in Korea knapp und teuer wurde. Aufgrund des Handelsabkommens mit Japan wurde Reis in großen Mengen in das Nachbarland exportiert. Zudem erhöhte die koreanische Regierung die Steuern, um die Reform- und Modernisierungspolitik finanzieren zu können. Hinzu kam noch, dass der ausländische Einfluss auf Politik und Wirtschaft sichtlich zunahm und dass sich die christliche Religion rasch verbreitete.

Sabal t’ongmun (1893) - Rundbrief von Chŏng Pong-jun, einem Anführer der Tonghak-Bewegung, in dem er zum Aufstand aufruft.

Sabal t’ongmun (1893) - Rundbrief von Chŏng Pong-jun, einem Anführer der Tonghak-Bewegung, in dem er zum Aufstand aufruft.
Bildquelle: The Academy of Korean Studies

Die Menschen, die am Rande der Modernisierung standen, waren durch diese Ereignisse zunehmend verunsichert. Sie fanden bei der neuen „sozial-nationalen“ Religion Tonghak eine Zuflucht. Den Kern dieser religiösen Ideologie bildete die Idee einer egalitären Gesellschaft und sie verstand sich als eine Gegenbewegung gegen ausländische Einflüsse und Religionen. Als sich die Tonghak-Anhänger 1892 für die Rehabilitierung ihres hingerichteten Gründers einzusetzen begannen, wurde daraus allmählich eine Massenbewegung des Volkes, Tonghak-Bewegung. Bald machte sie politische, soziale und nationale Fragen zu ihrem Hauptanliegen und es folgten ihr nicht mehr nur religiös motivierte Anhänger, sondern auch die unzufriedenen Bauern in den Provinzen. Im Februar 1894 formulierte die Bewegung ihre zentralen Forderungen: Die traditionelle hierarchische Sozialstruktur sollte abgeschafft und die Verantwortlichen für die schwierige Situation des Landes bestraft werden. Obwohl sich im Juni die koreanische Regierung mit den Aufständischen auf deren Forderungen nach Reformen einigte, formierte sich nur wenige Monate später zum zweiten Mal eine Tonghak-Bewegung, die diesmal gegen japanische Einflüsse in Korea gerichtet war.

Neben der sozialhistorischen Bedeutung für Korea wurde die Tonghak-Bewegung auch zu einem bedeutenden Eckpunkt der ostasiatischen Geschichte: Zwischen den zwei Tonghak-Erhebungen brach der Erste Chinesisch-Japanische Krieg aus (August 1894 bis April 1895). Als die Tonghak-Bewegung im Februar 1894 begann und nicht unter Kontrolle gebracht werden konnte, ersuchte die koreanische Regierung das chinesische Kaiserreich um militärische Hilfe. Wie es beim T’enjin-Abkommen von 1885 vereinbart worden war, informierte China das benachbarte Japan über die Entsendung seiner Armee. So kamen im Juni 1894 die Armeen beider Länder knapp zehn Jahre nach dem gemeinsamen Abzug wieder nach Korea zurück. Der für die Koreaner unerwartete Aufmarsch der japanischen Soldaten zwang den Königshof zu einer schnellen Einigung mit den Aufständischen.

Nach der Niederschlagung der ersten Erhebung im Juli 1894 blieb die japanische Armee weiterhin im Land. Sie bot dem Königshof ihre Hilfe bei der Modernisierung an, gleichzeitig brachte sie ihn jedoch unter ihre Kontrolle und besetzte ihn. Kurz danach kam es zu ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen China und Japan um die Kontrolle des koreanischen Königshofs. Diese führten schließlich am 1. August 1894 zur offiziellen Kriegserklärung und endeten zehn Monate später mit einem militärischen Sieg Japans. Mit der chinesischen Niederlage gingen die chinesisch-koreanischen Beziehungen, die rund zweitausend Jahre lang die koreanische Geschichte politisch und kulturell geprägt hatten, zu Ende. Für China bedeutete dies den Verlust des politischen Einflusses in Korea, für Korea bedeutete es, dass Japan die Rolle des kaiserlichen China übernahm.

Agwan p’ach’ŏn - Flucht des Königs und seiner Familie in die russische Gesandtschaft (2.1896-2.1897)

Agwan p’ach’ŏn - Flucht des Königs und seiner Familie in die russische Gesandtschaft (2.1896-2.1897)
Bildquelle: The Academy of Korean Studies

Bereits während des Ersten Chinesisch-Japanischen Krieges errichtete Japan in Korea eine militärische Zentrale für Reformen. Bei der ersten Reformrunde wurde eine umfassende Liste mit mehr als zweihundert Maßnahmen für eine politische, wirtschaftliche und soziale Modernisierung präsentiert. Die wesentlichen Maßnahmen waren die Trennung von Königsmacht und Politik, die Unabhängigkeit der Justiz, die Vereinheitlichung des Finanzsektors und der Währung und die Abschaffung der sozialen Stände. Diese Vorhaben deuten in der Tat einen realen Fortschritt hin zur Moderne an. Die zentrale Idee der japanischen Reformen bestand jedoch darin, das enge Verhältnis zwischen China und Korea zu lösen. Im Dezember des selben Jahres, als der Sieg Japans bereits zu erwarten war, wurden die koreanischen Intellektuellen, die nach dem missglückten Staatsstreich 1884 nach Japan geflüchtet waren, ins Kabinett der koreanischen Reformregierung eingesetzt. Japan gelang es aber nicht, die koreanische Regierung gänzlich mit seinen Anhängern zu besetzen, weil auch europäische Länder wie Russland nach dem Ende des Ersten Chinesisch-Japanischen Krieges versuchten, den Einfluss Japans in Ostasien zu begrenzen. Trotz solcher Bemühungen wuchs der Einfluss des japanischen Militärs auf die koreanische Regierung zusehends.

In dieser Situation versuchten die Königsgemahlin und die ihr nahestehenden Politiker, eine enge Beziehung mit Russland einzugehen. Getragen wurde diese Annäherung von der Hoffnung, dass Japans Griff nach der Macht durch den Beistand Russlands gestoppt werden könnte. Das unmittelbare Resultat dieses Versuchs war die Ermordung der koreanischen Königsgemahlin durch die japanische Armee im Oktober 1895. Nach dem Ende der Trauerzeit flüchteten der König Kojong, seine Familie und die Anhänger der Königsgemahlin im Februar 1896 in das russische Gesandtenhaus. Ohne die koreanische Regierung blieben die japanischen Reformen zunächst in der Planung stecken, da das Volk durch die instabile Lage und durch die zahlreichen Veränderungen überfordert und vom Tod der Königsgemahlin zutiefst schockiert war. Empörung und Unmut führten im ganzen Land zur Verbreitung bewaffneten Widerstands gegen die japanische Armee.

König Kojong kehrte im Februar 1897 aus einjähriger Isolation im russischen Gesandtenhaus an den Königshof zurück, denn die Stimmen, die eine Zunahme des russischen Einflusses in Korea fürchteten, waren immer lauter geworden. Nach seiner Rückkehr erklärte sich der König zum Kaiser und ernannte Korea zum unabhängigen Kaisereich. Eine erste koreanische Verfassung wurde erlassen, in der der Kaiser alleine über die gesamten politischen Rechte verfügte. Zudem wurde die Stärkung des Militärs angekündigt und mit der Öffnung des Landes für ausländische Unternehmen im Gold- und Silberabbau begonnen.

Kaiser Kojong und Kabinettsmitglieder des Koreanischen Reiches (Taehan cheguk)

Kaiser Kojong und Kabinettsmitglieder des Koreanischen Reiches (Taehan cheguk)
Bildquelle: The Academy of Korean Studies

Diese Versuche konnten jedoch kaum die Unabhängigkeit des Landes fördern, denn in Nordostasien zeichnete sich mittlerweile eine pro-japanische Machtkonstellation ab. Angesichts der russischen Expansion und auch wegen der eigenen imperialistischen Interessen standen England und die USA auf der Seite des expandierenden Japan, dem sie Korea überließen. Diese Haltung der westlichen Länder führte zu einer zunehmenden Konkurrenz zwischen Japan und Russland um die Kontrolle über das koreanische Kaiserreich. Bei diesem Konflikt, in dem es in den 1890er Jahren mehrmals Verhandlungen zwischen Japan und Russland gab, ging es um die Verteilung des Einflusses auf dem Gebiet der koreanischen Halbinsel und in der Mandschurei. Da die Gespräche zu keiner Einigung führten, kam es im Februar 1904 zum Krieg zwischen Japan und Russland, den Japan mit einem Angriff auf russische Schiffe vor der koreanischen Küste begann und der 1905 mit einem Sieg Japans endete. Im Juli und August 1905 schloss Japan mit den USA und mit England geheime Verträge ab, in denen die beiden Länder die japanische Kontrolle über Korea festschrieben. Dem weiteren Vorgehen Japans stand somit nichts mehr im Wege.

Im November 1905 ließ sich Japan in einem Abkommen mit Korea, Ŭlsa-Abkommen, bestätigen, dass Japan als Schutzmacht alle Außenkontakte des koreanischen Reiches kontrollierte. Damit verlor Korea de facto seine Unabhängigkeit. Kaiser Kojong verweigerte jedoch seine Unterschrift unter den Vertrag und versuchte, die Lage seines Landes in der Welt bekannt zu machen. 1907 schickte er Vertreter mit einer Erklärung der Unabhängigkeit Koreas zur Friedenskonferenz in Den Haag. Dieses Unterfangen hatte seine erzwungene Abdankung zur Folge und auch die koreanische Armee wurde daraufhin aufgelöst. Schließlich wurde am 22. August 1910 der Annexionsvertrag von japanischen und koreanischen Regierungsvertretern unterschrieben und am 29. des Monats veröffentlicht. Damit ging die Chosŏn-Dynastie nach mehr als 500 Jahren zu Ende.

 

Hee Seok Park