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Teilbereiche

Teilbereich I: Ritualisierte Lebensweisen

Leitung: Prof. Dr. Claudia Ulbrich (Geschichtswissenschaft, FU Berlin)

Kurzbeschreibung

In diesem Teilbereich wird versucht, das Spannungsfeld von Ritual und Selbstzeugnissen in einer doppelten Weise fruchtbar zu machen. Zum einen soll untersucht werden, welche Erkenntnisse Selbstzeugnisse über Rituale vermitteln, zum andern geht es darum herauszufinden, welche Einsichten über Formen, Inhalte und Funktionen von Selbstzeugnissen gewonnen werden können, wenn sie von den Ritualen her gedacht werden. Damit verbunden ist die Frage, welche Bedeutung ritualisierte Lebensweisen für die in den Selbstzeugnissen formulierten Personkonzepte haben. Die Teilprojekte setzen in verschiedenen Milieus an, in denen ritualisiertes Handeln eine besondere Bedeutung hat: in der Diplomatie und in der Gelehrtenkultur.

In den bisherigen Forschungen hat sich gezeigt, dass die Fokussierung des Teilbereiches auf die Frühe Neuzeit wissenschaftliche Perspektiven grundlegend erweitern kann, indem Individualität von einem privilegierten Personkonzept zu einem mit und neben anderen Personkonzepten koexistierenden wird. Aufgabe der zweiten Phase wird es sein, die unterschiedlichen Zugänge zusammenzuführen, das heißt die Bedeutung der Ritualisierungen für die diplomatische persona deutlicher herauszuarbeiten und umgekehrt die „Rituale der Gastfreundschaft“ sichtbar zu machen. In beiden Teilprojekten bilden ritualisierte Lebensweisen den Ausgangspunkt, um Personkonzepte im Spannungsfeld von innen/außen zu untersuchen. So wird gefragt, inwieweit die Thematisierung ritualisierter Lebensweisen auf ein überwiegend außengeleitetes Personkonzept verweist bzw. inwieweit ritualisierte Lebensbereiche wie die Gastfreundschaft oder die Diplomatie für ein innengeleitetes Personkonzept offen sind.

Teilprojekt 1:

Gastfreundschaft in Selbstzeugnissen: Personkonzepte und ritualisiertes Handeln in der Frühen Neuzeit

Bearbeiterin: Dr. Gabriele Jancke (Geschichtswissenschaft)

Teilprojekt 2:

Die diplomatische persona im politischen Ritual

2a     Osmanische Gesandtschaftsberichte

Bearbeiter: Abdullah Güllüoğlu, M.A. (Turkologie)

2b    Westeuropäische Gesandtschaftsberichte

Bearbeiterin: Dr. Christine Vogel (Geschichtswissenschaft)


Teilbereich II: Konversion, Furcht, Gewalt

Leitung: Prof. Dr. Angelika Schaser (Geschichtswissenschaft, Hamburg)

Kurzbeschreibung

Die drei Teilprojekte führen das begonnene Arbeitsprogramm in der zweiten Phase im Wesentlichen fort. Eine veränderte Akzentsetzung wird durch die verstärkte Beschäftigung mit der Konstituierung und Konzeption von Person vor dem Hintergrund gefährdeter personeller Integrität erfolgen. Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen weiterhin Selbstzeugnisse, die an entscheidenden Wendepunkten des Lebens verfasst wurden und häufig mit einer grundlegenden Änderung der Weltsicht einhergingen. Insoweit stehen Konversionen in der breiten Definition von Snow und Machalek in allen Projekten zur Diskussion. Obwohl die Untersuchungsgegenstände der Teilprojekte geographisch und chronologisch weit auseinander liegen (niederländische und deutsche Gebiete im 17. und 18. Jh., Japan bzw. China im 20. Jh.), spielt in allen Fällen offene oder versteckte Gewalt und Furcht eine entscheidende Rolle für die Konstituierung und den Wandel der Personkonzepte auf der einen und für die Erosion politischer, sozialer und religiös-konfessioneller Ordnungen auf der anderen Seite.

Die Situationen der Gefährdung und Verunsicherung sowie die mit der Konversion eingeleitete Neubegründung der Person werden in der zweiten Phase genauer analysiert und dabei die Frage nach den konfessionsübergreifenden und transkulturellen Dimensionen von Gewaltwahrnehmung und Gewaltdarstellung stärker berücksichtigt werden. Welche Bedeutung hatte das Schreiben über Gewalt und Furcht für die Konstituierung der schreibenden Personen? Welche Strategien wurden in den verschiedenen kulturellen und historischen Kontexten entwickelt, mit dieser Furcht umzugehen? Weiter soll die gender-Perspektive in den Einzelprojekten stärker konturiert werden, da sich in der Konzeption von Person im Spiegel der Türkenfurcht und der religiösen Ordnungsvorstellungen sowie in der Schilderung von Opfer-Täter-Beziehungen Vorstellungen über Geschlecht und dessen Funktion finden und damit untersuchen lassen.

Die Teilprojekte leisten mit Mikroanalysen und deren umfassender kultureller und gesellschaftlicher Kontextualisierung Grundlagenforschung. Alle Untersuchungen versprechen neue Ergebnisse zu liefern: zum Thema Selbstkonstruktion und Selbsterfahrung, zum Verhältnis zwischen Person, Individualität, Familie, Gruppenbildung und Gesellschaft sowie zum autobiographischen Schreiben als kultureller Praxis in Europa und Asien.

Teilprojekt 3:

Die Konstituierung von 'Person' in Beschreibungen von Furcht und Angst. Selbstzeugnisse des Dreißigjährigen Krieges und der „Türkenkriege“ des 17. Jahrhunderts

Bearbeiter: Dr. Andreas Bähr (Geschichtswissenschaft)

Teilprojekt 4:

Selbstzeugnisse innerchristlicher Konversionen im Heiligen Römischen Reich und den Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert

Bearbeiterin: Dr. Gesine Carl (Geschichtswissenschaft)

Teilprojekt 5:

Geständnisse japanischer Kriegsgefangener in chinesischer Kriegsgefangenschaft

Bearbeiterin: Dr. Petra Buchholz (Japanologie)


Teilbereich III: Zugehörigkeiten und Modernisierungen

Leitung: Prof. Dr. Hans Medick (Geschichtswissenschaft, Göttingen/Berlin)

Kurzbeschreibung

Gegenstand der beiden Projekte dieses Teilbereichs sind die Selbstzeugnisse von zwei Personen, die sich mit mehrfachen kulturellen Zugehörigkeiten in den weltgeschichtlichen Transformationsprozessen des 19. Jahrhunderts positionierten. Zentral für beide Vorhaben ist die für das Gesamtprojekt maßgebliche transkulturelle Perspektive.

In den beiden Projekten wird nach Personkonzepten in Selbstzeugnissen gefragt, die außerhalb Europas entstanden. Obwohl die Lebens-, Erfahrungs- und Handlungsräume beider Personen also weit auseinander lagen, war ihnen doch gemein, dass sie der nichtkolonialen außereuropäischen Welt angehörten und direkt und indirekt stark von jenen Modernisierungsprozessen betroffen waren, deren Zentrum Europa bildete. Das Schreiben von außerordentlich umfangreichen und komplexen Selbstzeugnissen stellte für beide Personen eine Möglichkeit dar, sich in den Transformationsprozessen und Umbruchsituationen ihrer Zeit zu positionieren und einen eigenen kulturellen Ort (der Selbstdarstellung und Reflexion) zu schaffen, der es ihnen gestattete, sich in den Darstellungen ihres Lebens ihrer Person zu vergewissern, ja diese persona in Lebenszusammenhängen, die von höchst unterschiedlichen Zugehörigkeiten bestimmt waren, in gewisser Weise erst in der Darstellung und Vorstellung herauszubilden.

Beide Projekte versprechen einen doppelten Ertrag: Zum einen sind sie herausragende, exemplarische Fallstudien für die transkulturelle Perspektive der Erforschung von Selbstzeugnissen und Personkonzepten. Zum anderen bieten sie aufgrund ihres spezifischen mikro-historischen, regional kontextualisierenden Ansatzes noch ein weiteres Erkenntnispotential. Im Vergleich zur Mehrzahl der makroskopischen globalgeschichtlichen Untersuchungen ermöglichen sie stärker kontextualisierte Analysen mit Bezug auf die außereuropäische Welt, wobei die Rolle von Person, Erfahrung und Tradition in der Entstehung von „multiple modernities“ (Sahmuel N. Eisenstadt) erkennbar wird.

Teilprojekt 6:

Das Tagebuch als transkultureller Ort bei Heinrich Witt, 1799-1890

Bearbeiterin: Christa Wetzel, M.A. (Geschichtswissenschaft)

Teilprojekt 7:

Kulturelle Selbstverortung und politisch-gesellschaftliche Handlungsoptionen im spätosmanischen Kontext: die Memoiren und Selbstportraits armenischer fedayis

Bearbeiterin: Elke Hartmann, M.A. (Turkologie / Geschichtswissenschaft)


Teilbereich IV: Autobiographisches Schreiben als kulturelle Praxis

Leiterin: Prof. Dr. Irmela Hijiya-Kirschnereit (Japanologie, FU Berlin)

Kurzbeschreibung

 Der Fokus dieses Teilbereichs richtet sich auf die Textualität von Selbstzeugnissen. Selbstzeugnisse werden als literarische Texte verstanden, deren Spezifik es historisch und kulturell differenziert zu bestimmen gilt. Hierfür sind insbesondere die (zeitgenössischen) literarischen Diskurse zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang wird gefragt, ob es sinnvoll und möglich ist, zwischen ‚authentischem’ Dokument und literarischem Text zu unterscheiden, und ob eine solche Differenzierung für jede Zeit und/oder Kultur grundsätzlich aufrechterhalten werden kann. Mit der Frage nach Strukturen, Traditionen und Funktionen autobiographischer Texte rücken kulturelle Praktiken und narrative Konzepte von Person in den Blick, die neue Forschungsergebnisse auch hinsichtlich gattungs- und geschlechterspezifischer Konstruktionen erwarten lassen. Der Teilbereich verfolgt das Ziel, auf der Basis der bearbeiteten Fallbeispiele aus dem deutschen Sprachraum im 15. bis 16. Jahrhundert  theoretisch-methodische Erkenntnisse zu gewinnen, die im Hinblick auf Fragestellungen aller Teilprojekte und Teilbereiche einen übergreifenden konzeptuellen Beitrag leisten können.

Auf der pragmatischen Ebene geht es dabei um Selbstzeugnisse als kommunikative Handlungen sowie um Verfasser und Verfasserinnen als AkteurInnen, die schreibend handeln. Dies impliziert Fragen nach der jeweiligen Schreibsituation, dem Schreibanlass und der Schreibintention. Die Sprache der Selbstzeugnisse wird zudem innerhalb historischer und kultureller Kontexte und Bedeutungsordnungen als Handlung, d.h. als Verhandeln, nicht nur Verwenden, eines Repertoires identifizierbar. Um dem Zusammenhang von Funktion und narrativer Konstruktion sowie verschiedenen Erzählkonzeptionen auf den Grund zu gehen, werden Selbstzeugnisse mit explizit fiktiven Texten verglichen.

Auf der Repräsentationsebene rückt Sprache als symbolische Handlung in den Fokus des Interesses. Mit der im anthropological turn vollzogenen Auflösung der Relation von ‚Innen’ und ‚Außen’, Text und Kontext, Erfahrung und Diskurs lässt sich kulturelle Praxis auch als ein Generieren und Strukturieren von Wissenssystemen begreifen. Selbstzeugnisse sind in diesem Zusammenhang wichtige Quellen für eine differenzierte Analyse von Kulturmustern. In Selbstzeugnissen zirkulieren Narrative. Personkonzepte können in diesem Sinne als dargestellte Konzepte im Medium der Sprache gefasst werden, die keinen unmittelbaren Zugang zur Person ermöglichen. Personkonzepte liegen in Form von narrativen Modellen bzw. scripts vor, in und mit denen operiert wird: Sie können aktiviert, variiert und transformiert werden. Innerhalb des Teilbereichs wird gefragt, ob und wie sich solche Prozesse in Selbstzeugnissen nachweisen lassen. Die Analyse von Erzählstrukturen und -mustern, über die und innerhalb derer Person konstruiert wird, erweitert die Themenstellung der ersten Antragsphase um einen literaturwissenschaftlichen Ansatz, der für das Erkenntnisinteresse des Gesamtprojektes neue Perspektiven eröffnet.

Teilprojekt 8:

Narrative Konstruktionen von Männlichkeit in autobiographischen Texten des 15. und 16. Jahrhunderts

Bearbeiterin: Franziska Ziep, M.A. (Ältere deutsche Literatur und Sprache)

Assoziierte Projekte

 

Eugen Wilhelm (1866-1951). Jurist, Sexualwissenschaftler, Literaturkritiker, Französisch-Deutscher Kulturvermittler - Pilotstudie zur Vorbereitung einer Tagebucherschließung und vertiefender Nachlassrecherchen 

Bearbeiter: Dr. Régis Schlagdenhauffen, seit 2013 Post-doctorand de EHESS (http://irice.univ-paris1.fr/spip.php?article586)

Förderung: Thyssen 2010/2011.